„Talk am Ring“-Spezial am Red Bull Ring: Wo liegen die Stärken der Region Murau Murtal? Welche Potenziale gilt es noch zu heben? Wie positioniert sich die Region und wo liegen die aktuellen Herausforderungen für die Betriebe? Fragen, die wir mit hochkarätigen Vertreterinnen und Vertretern der Region vor Ort in Spielberg diskutierten.
TALK AM RING ist ein Diskussionsformat von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring.
In herausfordernden Zeiten zählt die Besinnung auf eigene Stärken. Was macht die Region Murau Murtal stark?
KHOM: Die absolute Stärke sind für mich die Menschen in der Region. Ein Menschenschlag, den wir in der Region als „hoanbuchen“ bezeichnen – also ausdauernd und durchsetzungsfähig, aber auch flexibel und liebenswürdig. Dazu kommt, dass wir hier in der Wirtschaft sehr breit aufgestellt sind. Wir haben die Großen und die Kleinen, die Industriebetriebe und viele KMU bei uns in der Region, darunter auch Weltmarktführer. Und das alles in wunderbarer Natur mit viel Lebensqualität.
KOLAR: Wenn wir Menschen auf der Straße nach den Stärken der Region befragen, werden meist jene Projekte als Erstes genannt, die nach außen leuchten: der Red Bull Ring, die Formel 1 und Co. – alles enorm wichtig für die Strahlkraft der Region, keine Frage. Aber darüber hinaus fallen nur wenigen die vielen tollen Betriebe ein, die unsere Region ebenso ausmachen – etwa jene, die hier am Tisch sitzen. Wir haben ganz wunderbare und innovative Arbeitgeber, die den Menschen tolle Arbeitsplätze bieten – das wird oft als selbstverständlich hingenommen. Wir können wirklich stolz und dankbar sein, dass wir diese Betriebe in der Region haben. Ob klein, mittel oder groß – sie bilden das Rückgrat der Region. Das sollte den Menschen noch bewusster sein.
KETTNER: Der Begriff „hoanbuchen“ trifft es genau. In der Region Murau Murtal sind wir ein toller, emotionaler Menschenschlag mit Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen. Wir haben in der Region Industrie, aber auch Tourismus und Motorsport – eine seltene Kombination, die man lange suchen muss. Der CEO unseres Eigentümers GMH – ein deutsches Familienunternehmen – war unlängst in Judenburg und meinte: Wo ihr arbeitet, machen wir Urlaub. (lacht) Das hören wir auch immer wieder von unseren Kunden. Bei uns haben die Menschen das Herz am rechten Fleck – das spricht sehr für die Region, ein echter USP. Klar, die Leistung muss auch stimmen, das ist Grundvoraussetzung. Unser Unternehmen, die Stahl Judenburg, ist stark exportgetrieben, das heißt, wir müssen uns täglich im globalen Wettbewerb behaupten.
DIE TEILNEHMERINNEN
Sabrina Ferner
Hotelière, Hotel Rosenhof Murau
(online zugeschaltet)
Heinz Kettner
Geschäftsführer Stahl Judenburg, Hersteller von hochwertigem Stab- und Blankstahl, über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Manuela Khom
Landtagspräsidentin und Vorsitzende des Regionalvorstands der Region Murau Murtal
Gabriele Kolar
Zweite Landtagspräsidentin und stellv. Vorsitzende des Regionalvorstands der Region Murau Murtal
Günter Leitner
Geschäftsführer des Regionalmanagements der Region Murau Murtal
Hans-Georg Pranckh
HR-Manager Heinzel Pöls (Zellstoff Pöls), Hersteller von Zellstoff sowie von Verpackungs- und Spezialpapieren, 530 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
PRANCKH: Das kann ich nur unterstreichen. Mich fasziniert die Vielfalt, die die Region bietet – ob Landwirt, Kleinunternehmer oder international tätiger Industriebetrieb. Die Vielfalt der Menschen spiegelt sich auch in der Innovationskraft wider – daher gibt es ein starkes Commitment der Eigentümerfamilie von Heinzel Pöls zum Standort. Die Menschen hier sind es gewohnt, das i-Tüpfelchen mehr zu geben als anderswo – daher haben wir tolle Arbeitskräfte. In der Steiermark fokussiert sich ja viel auf das Ballungsgebiet Graz – umso wichtiger ist es für die Regionen, den Anschluss zu wahren und in die Infrastruktur zu investieren. Zum Glück haben wir zwei engagierte Entscheidungsträgerinnen aus der Region an der Spitze des Landtags, die unseren Anliegen Gehör verschaffen – das ist sicher kein Nachteil.
LEITNER: Jede Region muss wissen, wo sie steht und wohin sie gehen will. Dafür muss sie geeignete Konzepte entwickeln – und genau das tun wir hier in Murau Murtal. Viele Dinge laufen bereits sehr gut – so brauchen wir unseren Industriebetrieben nicht zu sagen, was sie zu tun haben. Denn das wissen sie selbst am besten. Aber wir schauen uns sehr genau an, wo eventuell noch Lücken bestehen. Wo brauchen wir eine Verbesserung der Infrastruktur? Wie kann man noch Restpotenziale heben? Etc. Genau dort setzen wir an.
FERNER: Ich kann mich nur anschließen. Das Innovative gepaart mit der Bodenständigkeit der Menschen – das macht für mich unsere Stärke aus. Wir haben eine gute und gesunde Basis, auf der wir aufbauen können. Dazu kommt die Erkenntnis, dass es eben nur gemeinsam geht. Egal, ob Industrie oder Hotellerie und Gastronomie – wir greifen wie Zahnräder ineinander. Nur, wenn wir nach außen stark und geschlossen auftreten, können wir Leute reinholen – ob als Mitarbeiter, Gäste oder neue Bewohner. Unser Betrieb, der Rosenhof, ist gerade mitten im Wandel, große Investitionen stehen an. Ich bin überzeugt, wenn wir den Mut haben, uns zu verändern, dann können das auch andere Betriebe – und am Ende wandelt sich eine gesamte Region. Damit – bin ich sicher – werden wir auch in Zukunft erfolgreich sein.
Wie spüren Sie den Aufschwung?
FERNER: Wir erleben definitiv einen Aufschwung – in der Infrastruktur, aber auch vom gesamten Mindset her. Grundlegend dabei ist die Erkenntnis, dass wir vieles zu bieten haben. Gerade im Tourismus herrschte lange das Selbstverständnis, dass wir hier ja „nichts“ haben. Kein Wunder, wenn das dann auch von außen so gesehen wird. Das habe ich zuletzt am eigenen Leib erfahren, als ich um eine Finanzierung für den Umbau unseres Hotels bei der OeHT (Anm.: Hotel- und Tourismusbank) ansuchte. Deren erste Reaktion: ein Ablehnungsbescheid. Begründung: der fehlende Glaube an die Entwicklung der Region. Doch ich habe nicht aufgegeben und viel Überzeugungsarbeit für die Region und den Betrieb geleistet – am Ende mit Erfolg. Wir werden investieren und planen einen großen Relaunch des Betriebs. Rosenhof goes ROHO ist für das Frühjahr 2024 geplant – vorausgesetzt, die Zinsen steigen nicht weiter. Ausgangspunkt unseres Konzepts war das sogenannte „Nichts“ der Region, das wir nun bewusst als Stärke positionieren, indem wir künftig gezielt auf Reduktion, Bewusstheit und Nachhaltigkeit setzen. Schließlich sind wir die einzige Region in Europa, wo Wandern noch echt und unverfälscht möglich ist.
An welchen Strategien arbeitet das Regionalmanagement? Welchen Weg soll die Region einschlagen?
KHOM: Oberste Priorität hat für uns, dass wir die Menschen, vor allem die Jugend, hier in der Region halten können. Daher muss man sich in die Köpfe der Menschen hineinversetzen. Was braucht es, damit diese in der Region bleiben oder hierherziehen? Zum einen müssen wir stolz und selbstbewusst betonen, was wir alles haben – und wir müssen klar benennen, was wir noch brauchen. Ein aktueller Schwerpunkt betrifft etwa das Th ema Kinderbetreuung – ein ganz entscheidender Faktor für junge Menschen. Jungfamilien müssen wissen, ob und wie sie den Nachwuchs betreuen lassen können. Daher auch ein Riesenkompliment an Stahl Judenburg und Zellstoff Pöls, die jeweils bereits Kinderbetreuungsmöglichkeiten in ihren Betrieben eingerichtet haben – was durchaus mit großem Aufwand verbunden ist.
KOLAR: In diese Richtung wollen wir weiter gehen. Kinderbetreuung ist ein wichtiger Aspekt – dazu gibt es eine Fülle standortrelevanter Faktoren, darunter der weitere Breitbandausbau, den wir forcieren. Wir haben hier viel weitergebracht, weil die Region gut zusammengehalten hat. Ob Arbeit, Wirtschaft, Bildung, Kinderbetreuung, Breitbandausbau, Umwelt und Energie – es braucht alle diese Themen, die eine Region attraktiv und lebenswert machen. Dazu gehört auch eine gute Gesundheitsversorgung – ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Ebenso wie die Themen Umwelt- und Klimaschutz – ohnehin mein Steckenpferd als Leiterin des Ausschusses für diesen Themenbereich im Landtag Steiermark.
KHOM: Im Gesundheitsbereich bemühen wir uns nach Kräften, Ärzte in die Region zu bringen – eine Riesenherausforderung. Wir haben dazu ein Projekt ins Leben gerufen, wo wir jungen Medizinern ermöglichen, bei einem Hausarzt eine gewisse Zeit mitzuarbeiten – inklusive finanzieller Anreize. Eine der wesentlichen Aufgaben von uns ist es, zu vermitteln, dass die liebenswerte Region, die wir sind, auch eine lebenswerte Region ist. Ob Arztpraxen, Kinderbetreuung, Breitbandausbau oder unser neues Radverkehrskonzept – in all diesen Punkten versuchen wir attraktiv zu sein. Es ist die Summe vieler kleiner Bausteine – damit versuchen wir, das Salz in die Suppe zu bringen. Denn die „Suppe“, die uns als Region zur Verfügung steht, ist großartig. Es ist bereits viel Positives passiert. Ein Kind des Regionalmanagements etwa, auf das ich sehr stolz bin, ist „Kraft. Das Murtal“. Über hundert Betriebe haben sich dabei mittlerweile zusammengeschlossen, große Industriebetriebe ebenso wie kleine Gewerbetreibende, die sich austauschen und Gemeinsames schaffen – ob bei Ausbildung oder Innovation. „Kraft. Das Murtal“ hat zu fliegen gelernt. Genau das ist das Ziel all unserer Aktivitäten: etwas anstoßen, das weiterwächst und eine Eigendynamik bekommt.
KETTNER: Auch wir unterstützen das Netzwerk „Kraft. Das Murtal“. Beispielsweise haben wir einen Teil unserer jüngsten 15-Mio.-Euro-Investition, die gerade in Betrieb ging, an die Firma HAGE aus Obdach vergeben. Ein klares Bekenntnis zur Region. Für uns war es übrigens die größte Investition der Firmengeschichte – Kernstück ist die neue Reibschweißanlage, mit der wir einbaufertige Komponenten produzieren können. Das Um und Auf in der Zukunft ist es, ausreichend Fach- und Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Ein wichtiges Reservoir dabei sind Frauen, wir haben einen steigenden Frauenanteil im Betrieb. Und dafür braucht es ganz einfach eine funktionierende Kinderbetreuung. Auch wenn sich die Gemeinden bemühen, ist das öffentliche Angebot nicht ausreichend. Daher haben wir das selbst in die Hand genommen und in eine betriebliche Kinderbetreuung investiert – mit toller Unterstützung seitens der Regionalpolitik und dank großer Anstrengungen unserer Personalleiterin im Haus. Wir waren damit die Ersten im gesamten Bezirk Murtal, es gab noch kein Procedere dafür. Gemeinsam mit unseren Nachbarfirmen am Standort, Firma Wuppermann und Firma Hendrickson, ist uns ein Vorzeigeprojekt gelungen. Mit dieser Initiative können wir Türöffner für andere sein.
Das Finden und Binden von Mitarbeitern ist wohl auch für Heinzel Pöls eine permanente Herausforderung?
PRANCKH: Klar, denn längst reden wir nicht mehr von einem Fachkräftemangel, sondern wir haben einen Arbeitskräftemangel – und dieser wird sich noch verstärken. Wir sehen die demographische Entwicklung im Murtal, die unter Abwanderung leidet, vor allem im erwerbstätigen Alter und bei der Jugend. Daher begrüßen wir jede Initiative in diesem Bereich. Auch wir im Personalrecruiting müssen neue Wege gehen. Wir setzen aber nicht nur auf Mitarbeiterfindung, sondern vor allem auf deren Bindung – schließlich hat die Jobmobilität in den vergangenen Jahren in der Arbeitswelt stark zugenommen. Wir bieten ein Bündel an Incentives und Benefits – allen voran exzellente Karriereentwicklungsmöglichkeiten. Das Personalmanagement muss immer strategisch an der Marschrichtung des Unternehmens ausgerichtet sein. In diesem Zuge realisieren wir eine Vielzahl an Maßnahmen – etwa neue und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Zudem setzen wir auf Kooperationen mit Schulen, damit wir bereits bei Kindern ab dem zehnten Lebensjahr präsent sind. Auch Frauen sind eine zunehmend wichtige Zielgruppe. So haben wir mittlerweile einen Frauenanteil von über 20 % in der Produktion. Das würde ohne funktionierende Kinderbetreuung schlichtweg schwierig sein. Daher haben auch wir ein entsprechendes Angebot im Haus geschaffen.
Welche Rolle spielen Lehrlinge?
PRANCKH: Die Ausbildung von Lehrlingen genießt einen hohen Stellenwert – wir bilden eine Reihe unterschiedlicher Lehrberufe aus, von ChemielabortechnikerInnen über MetalltechnikerInnen und ElektrotechnikerInnen bis hin zu Industriekaufleuten und IT. Auch hier gehen wir neue Wege und kommen den jungen Menschen buchstäblich entgegen. Wir holen Lehrlinge in der Früh mit einem Taxi ab und bringen sie wieder nach Hause. Denn oft gibt es einfach keine andere Möglichkeit, um einen Lehrling in die Firma zu bringen. Die Maßnahme wurde sehr gut angenommen. Eine Win-win-Situation für die Lehrlinge und den Betrieb.
FERNER: Auch im Tourismus machen wir ähnliche Erfahrungen. Mitarbeitermarketing ist mittlerweile schon fast herausfordernder als das Gästemarketing. Wir haben erkannt, dass wir uns der Methoden bzw. der Kanäle der Generation Z bedienen müssen, um die jungen Leute dort abzuholen, wo sie stehen. Genau das haben wir mit unserer jüngsten Recruiting-Kampagne auf Facebook und Instagram gemacht. Wir haben – bei einem Team von 12 Mitarbeitern – nicht weniger als 80 Bewerbungen bekommen – sensationell! Damit kann ich jetzt praktisch ein neues Team aufstellen. Unsere Herangehensweise war sehr unkonventionell. Wir haben mit Fragestellungen gearbeitet wie „Bist du glücklich in deinem Job?“, weil wir davon ausgehen, dass viele Menschen oft gar nicht wissen, dass sie eigentlich eine neue Herausforderung suchen.
KOLAR: Mein Brotberuf war ja Lehrerin. Daher weiß ich, dass die Schülerinnen und Schüler ganz genau wissen, welche Firmen gute Firmen sind und wie diese mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Hier haben wir mit unseren Betrieben viel Glück. Was mir ebenso gefällt: Dass diese verstärkt darauf achten, vor allem Frauen anzusprechen.
KETTNER: Wir sind einer der wenigen Betriebe, die eine eigene Lehrwerkstätte haben, und bilden eine Reihe unterschiedlicher Berufsbilder aus. Wir sehen: Trotz unterschiedlicher Benefits reicht der Bewerbungspool heutzutage kaum noch aus, um alle Lehrstellen mit motivierten jungen Leuten zu besetzen. Das war vor drei, vier Jahren noch anders. Daher gehen wir auch hier innovative Wege und haben erstmals zwei Lehrlinge aus Spanien geholt. Seit Anfang September sind diese bei uns an Bord. Auch die ersten beiden Produktionsmitarbeiter aus Spanien arbeiten bereits bei uns. Das Ganze ist durchaus eine Herausforderung, aber unser Motto in diesem Fall lautet: Handeln statt jammern. Fakt ist: Wir müssen uns auf breitere Beine stellen und dem demographischen Wandel entgegenwirken.
Murau Murtal steht auch für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Wie leben das die Betriebe?
FERNER: Nachhaltigkeit und Klimaschutz sehe ich als Riesenchance für uns. Unser Gästeklientel wiegt sehr genau ab, welches Hotel sie besucht, welche Nahrungsmittel dort auf den Tisch kommen und welche Kosmetikartikel verwendet werden. Ich denke, wir decken tatsächlich einen Großteil der Bedürfnisse junger, zukunftsorientierter Menschen ab. Im Vergleich zu Massentourismusregionen bieten wir keine Avocado am Frühstücksbuffet und keinen Rioja aus Spanien und verzichten damit auf einen unnötig hohen CO2-Ausstoß. Ständig reden alle über CO2, aber die wenigsten handeln. Wir wollen handeln und haben ein entsprechendes Konzept entwickelt. Ich bin überzeugt, durch die Klimaerwärmung können wir in der Region zusätzlich punkten – denn der nächste Rekordhitzesommer kommt bestimmt. Die Menschen werden künftig nicht mehr so viel fliegen. Daher werden wir zu den Gewinnern zählen.
PRANCKH: Wir haben uns auf die Fahnen geheftet, eines der führenden Papier- und Zellstoffunternehmen im Bereich Nachhaltigkeit zu sein. Damit sind wir für die Zukunft gut gerüstet. Nachhaltigkeit heißt für uns wirtschaftlich, ökologisch, aber auch sozial nachhaltig zu sein. Wirtschaftlich stehen wir auf sehr gesunden Beinen und ökologisch sind wir auf einem sehr guten Weg – man denke nur an den Zustand der Gewässer hier in den 70er- und 80er-Jahren verglichen mit heute. Daran sieht man die Innovationkraft des Unternehmens – ein Meilenstein für Heinzel Pöls. Ökologie misst sich auch an den CO2-Emissionen. Wir produzieren heute nahezu autark und setzen über 90% erneuerbare Energien in unseren Prozessen ein. Wesentlich dabei ist, dass wir aus dem Prozess gewonnene Chemikalien wieder in den Produktionskreislauf rückführen. Es gibt auch Konzepte, vom restlichen Erdgaseinsatz wegzukommen, in dem wir den Kreislauf in der Zellstoff- und Papierproduktion noch weiter schließen. Soziale Nachhaltigkeit liegt mir als HR-Manager ganz besonders am Herzen und erfordert aus meiner Sicht dieselbe Leidenschaft und Professionalität wie technische Initiativen.
KETTNER: Zu einer grünen Wende gibt es keine Alternative, aber wir brauchen dafür eine starke Infrastruktur, mit der wir die Transformation in eine CO2-freie Zukunft schaffen können. Wir sind der zweitgrößte Gasverbraucher der Region, unsere Wärmebehandlungsanlagen brauchen derzeit Gas – wollen wir den Ausstieg schaffen, braucht es ein Transformationsmedium, das aus heutiger Sicht nur Wasserstoff sein kann. Daher ist das ein ganz maßgebliches Zukunftsthema für die Region. Um den in anderen Weltregionen dezentral hergestellten Wasserstoff zu uns zu transportieren, brauchen wir die entsprechenden Pipelines. Und die haben wir nicht. Hier ist die Politik gefordert, rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu setzen – denn wir reden hier von Entscheidungen, die weit in die Zukunft reichen. Wir wollen den Umstieg schaffen, ganz klar. Auch Strom wird ein Teil der Transformationsenergie sein. Hier setzen wir bereits auf 100 % Grünstrom.
KHOM: Ich muss gestehen, ich bin ein absoluter Wasserstofffan. Auch für Murau würde es sich anbieten, in der Region auf Wasserstoff zu setzen, da wir hier viel Überschussstrom aus erneuerbarer Energie haben. Die Themen Nachhaltigkeit bzw. erneuerbare Energie haben bei uns eine lange Tradition. Begonnen hat alles mit der Holzwelt Murau. Murauer war die erste Brauerei, die rein mit erneuerbarer Energie Bier gebraut hat. Wir haben Gott sei Dank so große Player wie euch, die vorzeigen, dass Industrie und Klimaschutz keine Gegenpole sind, sondern zusammengehören.
KOLAR: Das Thema Energie ist eines unserer Hauptthemen, die wir intensiv bespielen. Wirtschaft und Energie sind untrennbar verbunden. Wir sind auch die einzige Region, die flächendeckend KEM und KLAR!-Region ist – also Klima- und Energiemodellregion sowie Klimawandelanpassungsregion. Auch hier sind wir gerne Vorbilder. Klimaschutz ist ja eines meiner Hauptthemen bei uns im Landtag. Wir versuchen von Seiten des Landes, aber auch in der Region selbst vieles in diese Richtung zu tun. Derzeit arbeiten wir gerade daran, das Thema Energiegemeinschaften voranzubringen, damit sich Betriebe zusammentun können, die einander mit Überschussenergie versorgen.
KETTNER: Entscheidend ist, dass jede Ökologisierung auch ökonomisch leistbar sein muss. Es bedarf hoher Investitionskosten und wir müssen konkurrenzfähig bleiben mit unseren Produkten, das hat oberste Priorität. Wir sind im intensiven Austausch mit der Industriellenvereinigung und der Energie Steiermark rund um den Masterplan Grüne Energie. Wir müssen rasch in die Umsetzung kommen. Denn in der Industrie brauchen wir Planbarkeit und eine reale Sicht auf die Dinge. Schließlich geht es hier um die nächsten zehn, zwanzig Jahre.
PRANKCH: Tatsächlich stehen wir international unter enormem Wettbewerbsdruck. Wir müssen klar sagen, dass wir einfach einen Standortnachteil haben, was Energie betrifft. Daher sind wir gefordert, Lösungen zu finden, die ökologisch und ökonomisch vertretbar sind. Die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit ist das Um und Auf. Es geht dabei nicht nur um Heinzel Pöls selbst, sondern um die gesamte Wertschöpfungskette drumherum, an der eine Vielzahl von Betrieben in der Region hängt. Ein Beispiel: Allein wenn wir in der Fabrik einmal im Jahr Revisionstätigkeiten haben, befinden sich bis zu 1.000 Fremdarbeiter im Werk. Zudem haben wir seit 2005 rund 730 Millionen investiert. Man kann sich ausrechnen, was das für die Wertschöpfung der Region und für die vielen lokalen KMUs bedeutet.
KETTNER: Ganz ähnlich bei uns. Viele Betriebe leben mit und von uns – ob regionale Gewerke wie Dachdecker und Baufirmen, oder Dienstleister und Händler, etwa Nahversorger, wo unsere Mitarbeiter die Jause einkaufen. Das darf man nicht unterschätzen. Umso wichtiger ist es, die globale Wettbewerbssituation im Blick zu haben – wir haben hier einen Nachteil, sowohl bei den Lohnkosten als auch den Energiekosten. Österreich zahlt, verglichen mit Deutschland, pro Megawattstunde bis zu 25 Euro mehr. Daher braucht es einen gewissen Realismus von Seiten der Politik. Denn es geht hier nicht nur um unsere Region, sondern um den gesamten Standort Österreich.
PRANCKH: Weiterdenken muss man auch, was die Infrastruktur betrifft. Beim Güterverkehr auf der Bahn gab es zuletzt Fortschritte, die uns neue Möglichkeiten öffnen. Leider hinken wir aber beim Personenverkehr auf der Schiene noch hinterher. Die Region Murau leidet wohl noch ein bisschen mehr – siehe das Thema Murtalbahn. Es betrifft aber auch uns, da aus Murau Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu uns pendeln. Oder pendeln würden, wenn die Verbindungen es zuließen.
KHOM: Das Thema Infrastruktur ist für uns ein enorm wichtiges im Regionalmanagement, weil dort alle politischen Vertreter mit dabei sind. Da gibt es ein absolutes Commitment. Wir haben uns auch an die zuständige Ministerin gewandt mit unseren Forderungen. Denn wir haben die Sorge, dass wir, wenn der Koralm aufgeht, eine Benachteiligung erfahren. Daher bin ich sehr froh, dass hier alle Parteien an einem Strang ziehen. Auch im Straßenverkehr fordern wir, dass zumindest der versprochene Sicherheitsausbau der S37 endlich kommt. Unser Schwerpunkt liegt aber auf dem öffentlichen Verkehr.
Wie geht’s dem Tourismus in der Region? Welche Schwerpunkte werden gesetzt
KHOM: Grundsätzlich gehört der Tourismus nicht zu den Kernaufgabe des Regionalmanagements – dafür gibt es die Erlebnisregionen Murau und Murtal. Generell unterscheidet sich das touristische Angebot in Murau rund ums Thema Wandern stark vom Eventtourismus rund um den Ring. Es sind zwei Segmente, die aber sehr eng zusammenarbeiten und sich super ergänzen. Diese Verschiedenheit im Tourismus ist am Ende des Tages durchaus befruchtend. Ich bin sicher, auch Corona hat dazu geführt, dass die Menschen wieder vermehrt daheim Urlaub machen. Das hat die Attraktivität der Region gefördert. Für einen Auftrieb sorgen auch die enormen Investitionen in die Seilbahnen, die zuletzt getätigt wurden. 40 Millionen Euro wurden am Kreischberg investiert, zehn Millionen auf der Grebenzen.
FERNER: Ich kann nur bestätigen, dass die beiden Segmente nachhaltiger Tourismus in Murau und Eventtourismus rund um den Ring gut miteinander funktionieren. Unser Haus profitiert absolut von Großevents wie der Formel 1. Wir sind bis zu einem Jahr im Vorhinein ausgebucht. Ich richte für meine Hausgäste jedes Jahr einen Helikopter-Shuttle-Service vor Ort ein. Ein Heli shuttelt die Gäste täglich zum Ring und retour. Den Gästen taugt’s, damit habe ich eine Emotion erzeugt und der Gast kommt gerne wieder.
KOLAR: Dabei sollten wir aber nicht ganz übersehen, dass wir auch zusehends mit Beschwerden von Seiten der Anrainer konfrontiert sind. Auch die Umweltbelastung ist ein Thema. Airpower, Motor GP oder Formel 1 – das sind Events, die die Massen anlocken, Gott sei Dank auf der einen Seite, anderseits muss alles im Rahmen bleiben. Ausschreitungen auf den Campingplätzen wollen wir nicht. Ein Riesendank an die Einsatzkräfte, an die Polizei und vor allem die Ehrenamtlichen bei Feuerwehr und Rettung, die immer alles versuchen und ihr Möglichstes tun, um die Situation im Zaum zu halten.
Ein Blick in die Städte Murau, Judenburg & Co.: Wie kann die Attraktivierung der Orts- und Stadtkerne gelingen?
LEITNER: Ortskernentwicklung ist ein großer Schwerpunkt. Wir sind gerade dabei, ein umfangreiches Projekt zu entwickeln, um Orts- und Stadtkerne aufzuwerten. Eine durchaus komplexe Aufhabe, denn man muss viele Dinge berücksichtigen und sehr darauf achten, dass hier wirklich alle die gleichen Möglichkeiten bekommen. Eine Herausforderung, die wir gerne annehmen. Wir haben in unserem Arbeitsprogramm schon in diesem Jahr definiert, dass wir alle Vorarbeiten erledigen, um 2024 für die Ortskerne aktiv zu werden – ganz im Sinne der Landesstrategie. Dafür stehen auch entsprechende Budgets zur Verfügung.
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was wäre das?
KOLAR: Mein Wunsch betrifft das Miteinander. Es geht nur gemeinsam, das ist das Entscheidende und die große Klammer für mich und die Menschen, die hier leben. Zudem wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein in der Bevölkerung für die Region. Dann bleibt die Region Murau Murtal eine starke Region – denn mit Selbstbewusstsein lässt sich immer mehr erreichen.
KETTNER: Ich wünsche mir einen Fokus auf Werte und das Leistungsprinzip. Denn als reine Dienstleistungsgesellschaft werden wir unseren Wohlstand nicht halten können. Es müssen auch substanzielle Werte geschaffen werden. Daher breche ich eine Lanze für das Leistungsprinzip. Und sehe da schon ein gewisses Problem bei unserer Wohlstandsgesellschaft und speziell der jüngeren Generation, für die sehr häufig Work-Life-Balance über allem steht. Dennoch bin ich fest von einer guten Zukunft überzeugt. Wir sind „hoanbuchen“ und für alle Herausforderungen gerüstet! Daher: Packen wir es gemeinsam an! Unsere tolle Region und der Erhalt unserer Lebensqualität ist jede Anstrengung wert!
Fotos: Jürgen Fuchs, beigestellt