Spirit of Styria

Zeitloses RAUMGEFÜHL

Die freiberufliche Architektin Astrid Wildner-Kerschbaumer plädiert für langlebige Lösungen statt kurzfristiger Hypes, widersetzt sich klassischen Stereotypen seit jeher und schätzt die Vielfalt der Bauaufgaben vom urbanen Raum bis zum Hallstätter Heimatboden.

Hier atmen Mauern Geschichte aus dem 16. Jahrhundert, das Salzkammergut präsentiert sich von seiner atemberaubenden Seite, Touristen sonder Zahl flanieren durch die Gassen und Tausende Kilometer entfernt steht in Chinas Provinz Guangdong eine tatsächlich detailgetreu errichtete Kopie: Die Rede ist von Hallstatt. In dieser beispiellosen und geschichtsträchtigen Umgebung ist Astrid Wildner-Kerschbaumer aufgewachsen und hier hat sie auch ihren konsequenten beruflichen Weg in die Welt der Architektur gestartet. Der Großvater war Schulwart in der Holzfachschule vor Ort, schon als kleines Kind war sie daher mit dem Werkstoff in Berührung gekommen und hatte sich schließlich auch für die HTBLA für Möbel- und Innenausbau in Hallstatt entschieden.

Damals, Mitte der 1980er-Jahre, trafen in der Klasse bloß drei Mädchen auf insgesamt 33 Buben. Stereotype waren vor allem unter den Lehrenden gang und gäbe. Entsprechende Wortmeldungen reichten von „Frauen haben kein räumliches Vorstellungsvermögen“ bis hin zu „wir nehmen nur drei Mädchen pro Klasse auf, weil die dann ohnehin einen Tischler heiraten“. Ihr Jahrgang strafte die Vorurteile allesamt Lügen: Die jungen Frauen gingen alle an die Universität, um Architektur zu studieren. Seitdem hat sich in diesem Bildungsweg freilich einiges getan, das Geschlechterverhältnis deutlich verändert.

„Mein ökologischer Fußabdruck sollte
sich im Rahmen halten.
70 Prozent meiner Projekte finden

im Bestand statt.“

ASTRID WILDNER-KERSCHBAUMER
ARCHITEKTIN

NEUE HORIZONTE
Astrid Wildner-Kerschbaumer inskribierte zuerst in Innsbruck, dann in Graz. Das Auslandssemester in Barcelona war zugleich Sprungbrett für den Berufseinstieg ebenda, nach ersten internationalen Arbeitserfahrungen kehrte sie nach Graz zurück und vertiefte fast zwölf Jahre lang ihr Wissen unter den Fittichen von Hermann Eisenköck und Günther Domenig. „Die Baustelle LKH West bis zur Fertigstellung zu begleiten war mein erstes Projekt“, blickt die Architektin auf ereignisreiche Zeiten zurück. Viele Wettbewerbe im Gesundheits- und Krankenhausbereich sollten noch folgen.

Um ihren Horizont zu erweitern, orientierte sie sich schließlich neu, wurde Teammitglied im Architekturbüro von Guido Strohecker und übernahm die Projektleitung für den Innenausbau des Raiffeisen-Zentrums in Raaba-Grambach. 2014 wagte sie mit der Gründung des Technischen Büros Innenarchitektur+ den Weg in die Selbstständigkeit, die Ziviltechnikerprüfung hatte sie bereits zehn Jahre davor abgelegt. Da die geplanten Bauaufgaben den erlaubten Aktionsrahmen mehr und mehr sprengten, ließ sie sich 2016 vereidigen – das war zugleich die Geburtsstunde von Astrid Wildner Architektur ZT, heute mit Standorten in Graz und in Hallstatt.

Hallstatt ist die Heimat von Astrid Wildner-Kerschbaumer: Immer mehr Projekte tragen im Ort ihre architektonische Handschrift. Das Strandcafé wurde, Herausforderungen inklusive, zum Boutiquehotel Strand umgebaut – es hat 2021 seine Pforten geöffnet.

HANDSCHRIFT IN DER HEIMAT
Seitdem tragen auch mehr und mehr Projekte in ihrem Heimatort ihre Handschrift. Der breite Bogen spannt sich vom Gemeindehaus mit sechs Wohneinheiten samt Ordination über Umbauten, Zubauten und Neugestaltung – etwa von Aufbahrungshalle und Totengräberhaus – bis hin zur Errichtung des Boutiquehotels Strand, das seine Pforten 2021 geöffnet hat. Sibylle Scheuchl-Vasquez hatte das Strandcafé ihrer Eltern auf der Seelände von Astrid Wildner-Kerschbaumer in ein Hotel mit zehn Juniorsuiten – Balkon und Seeblick inklusive – transformieren lassen.

Um das ambitionierte Projekt in die Tat umzusetzen, brauchte es allerdings mehrere Anläufe, Entwürfe und einen langen Atem. Denn Bauen auf Hallstätter Boden bringt freilich auch einige Besonderheiten mit sich, so die Architektin – Bereitschaft zu inhaltlichen Debatten genauso wie diskussionswürdige Vorgaben in puncto Unesco Welterbe und essenziellen Auflagen zum Hochwasserschutz und weiteren Gefahrenzonen. Setzt man architektonische Zeichen im Heimatort, hat man es freilich auch mit unmittelbaren Rückmeldungen aus der Bevölkerung zu tun. Omnipräsent als Thema ist auch das starke Touristenaufkommen. Astrid Wildner-Kerschbaumer sieht die Sache pragmatisch – nämlich als Teil der Geschichte des Ortes. „Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich ein städtischer Mensch bin. Man kann Hallstatt nicht auf null zurücksetzen, es war schon immer ein Touristenort. Davon gibt es viele, man denke beispielsweise an Dubrovnik. Auf der anderen Seite wiederum gibt es viele Orte, die langsam aussterben.“

MEHR FLEXIBILITÄT
Was für die Architektin in jeder Lage zum Selbstverständnis ihres Tuns gehört: „Mein ökologischer Fußabdruck sollte sich möglichst im Rahmen halten. 70 Prozent meiner Projekte finden auch tatsächlich im Bestand statt. Das macht sie natürlich spannend. Man muss mit dem arbeiten, was vorhanden ist und ist freilich auch vor Überraschungen nicht gefeit.“ Um den Spagat zwischen dem Planen von Bauwerken als Wesen ihrer Arbeit und dem Wunsch nach einem überschaubaren Ressourcenverbrauch gerecht zu werden, will sie an weiteren Hebeln ansetzen. In Gesprächen mit Bauherren Dimensionierungen kritisch zu hinterfragen, einen Plan B zu entwerfen – das alles kann künftig verstärkt zum Thema werden. Gerade Einfamilienhäuser schaffen ein Platzangebot, das in seiner Größe von der gesamten Familie nur zeitlich begrenzt genutzt wird. Kinder werden erwachsen und ziehen aus. „Wir müssen im Denken flexibler werden, wir dürfen nicht davor zurückschrecken, Bestehendes noch einmal anzugreifen, umzubauen oder zu erweitern“, bekräftigt sie.

Ihre Auftraggeber sind übrigens zu einem großen Teil Frauen. Das liege zum einen an Netzwerken und Mundpropaganda, zum anderen durchaus auch daran, dass Frauen untereinander vielleicht doch eine andere Gesprächskultur pflegen, „ich denke schon, dass da mehr auf Augenhöhe passiert“. Viele ihrer

Projekte liegen in Größenordnungen, die die Freiberuflerin allein gut bewerkstelligen kann. Dabei kommt ihr zugute, dass sie im Rahmen ihrer früheren beruflichen Stationen gelernt hat, mit umfassenden Quadratmeterflächen umzugehen. Für Teilaspekte wie Renderings oder Energieausweise nutzt sie Netzwerkpartner, auch für gegenseitig befruchtenden inhaltlichen Austausch. Das Credo in allen Belangen: „Bauprojekte sollten im Kostenrahmen bleiben, da bin ich ziemlich strikt und versuche mit allem am Boden zu bleiben.“

Astrid Wildner Architektur ZT
15 Jahre war Astrid Wildner-Kerschbaumer für namhafte Architekten in Barcelona und Graz tätig, 2014 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit.

ZUKUNFTSAUFGABEN
Derzeit aktuellstes Projekt ist die Erweiterung des Gewaltschutzzentrums Steiermark in Graz. In dieser Umgebung, die ein hohes Maß an Sensibilität verlangt, sollen helle, offene Bereiche eine gute Atmosphäre schaffen. „In diesem Zusammenhang ist es auch wesentlich, auf eine zeitlose Optik zu setzen, die länger als zwei Jahre lang funktioniert. Das gelingt, indem man sich auf zwei, drei Materialien spezialisiert und nur wenige Farbtöne wählt. Man muss nicht auf jeden Hype aufspringen, sondern sollte vielmehr auf die Qualität und Langlebigkeit achten.“

Im urbanen Raum sieht sie aufgrund des starken Zuzugs in die Städte auch für die Zukunft noch größeren Bedarf an Wohnflächen. Hier gelte es, vor allem im Bereich Sanierung anzusetzen, um der Versiegelung von Flächen Einhalt zu gebieten und das Wachsen von Raum gut begleitet zu sehen. „Wenn sich eine Stadt entwickelt, sollte alles wie in einem Zahnrad ineinandergreifen. Stadtteile müssen gut durchmischt sein, um Ghettobildung zu vermeiden. Es braucht die notwendige Infrastruktur, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Zu schnell gewachsene Strukturen gestalten sich immer schwierig.“

Die baulichen, aber auch gesellschaftlichen Aufgaben für die Zukunft sind vielfältig und groß, sie beginnen im Detail. In Frauennetzwerken engagiert sich Astrid Wildner-Kerschbaumer dafür, Ziviltechnikerinnen und Ingenieurskonsulentinnen sichtbarer zu machen. „Da geht noch viel Potenzial verloren.“ Auch heute erlebt sie nach wie vor Bauverhandlungen, bei denen Beteiligte davon ausgehen, dass der Bauplaner nur ein Mann sein kann und dann erstaunt sind, dass dem nicht so ist. Es bleibt viel zu tun.

Fotos: Oliver Wolf, beigestellt

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