Spirit of Styria

Eine Frage DES RECHTSSTAATS

Nach vier Funktionsperioden und insgesamt 15 Jahren als Vizepräsident übernahm Michael Kropiunig das Amt des Präsidenten der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer. Und das in standespolitisch durchaus fordernden Zeiten: Es gelte, so Kropiunig, das Berufsbild des Rechtsanwalts bzw. der Rechtsanwältin attraktiver zu gestalten, um junge Menschen für die Tätigkeit zu begeistern und damit auf lange Sicht das Funktionieren des Rechtsstaats zu sichern.

Michael Kropiunig, Rechtsanwalt mit Kanzlei in Leoben, hat die Leidenschaft für seine Tätigkeit zweifellos mit der Muttermilch eingesogen. Bereits seine Mutter eröffnete in Leoben 1972 eine Rechtsanwaltskanzlei, damals eine der wenigen Frauen, die als selbstständige Rechtsanwältin tätig war. Auch die „Gegenseite“ war bzw. ist in der Familie prominent vertreten. Sein Vater war Präsident des Oberlandesgerichtes Graz, seine Schwester ist Staatsanwältin. Bei der Plenarversammlung der Steirischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte am 28.11.2023 wurde Michael Kropiunig für die nächsten vier Jahre zum neuen Präsidenten der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer gewählt. Er folgt in dieser Funktion Gabriele Krenn nach, die das Amt seit 2008 innehatte. Die Grazer Anwältin Doris Braun wurde zur Vizepräsidentin, der ebenfalls in Graz tätige Anwalt Wolfgang Dlaska zum Vizepräsidenten gewählt.

Die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer vertritt derzeit ca. 600 eingetragene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und rund 190 Anwärterinnen und -anwärter. Frauenanteil: rund 25 Prozent Rechtsanwältinnen, nahe 50 Prozent Anwärterinnen.

Das Präsidium wird von der Plenarversammlung gewählt. Dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer gehören neben dem Präsidium (drei Vertreter) zwölf Mitglieder aus dem Kreis der Rechtsanwälte sowie zwei aus dem Kreis der Anwärter an.

Ein unabhängiger Disziplinarrat aus 24 Mitgliedern übt die Disziplinargerichtsbarkeit aus.

In Österreich bestehen neun vollständig unabhängige 
Rechtsanwaltskammern (kurz RAK). Diese bilden für jedes Bundesland die weitestgehend eigenverantwortliche Standesvertretung aller niedergelassenen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter sowie der als europäische Rechtsanwälte im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit tätigen ausländischen Rechtsanwälte während dieser Tätigkeit im jeweiligen Bundesland.

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) ist als Dachorganisation der neun Rechtsanwaltskammern in Österreich zur Wahrung der Rechte und Angelegenheiten der österreichischen Rechtsanwaltschaft in ihrer Gesamtheit sowie zu ihrer Vertretung berufen.

Herr Präsident, erreicht der viel zitierte Fachkräftemangel auch die heimischen Anwaltskanzleien?
KROPIUNIG: Die Tatsache, dass in den kommenden Jahren auch viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus der sogenannten Babyboomer-Generation in den Ruhestand treten werden, ist nicht wegzuleugnen. Speziell um 2030 wird dieser Trend sich noch einmal massiv verstärken. Wir müssen uns also heute schon darum bemühen, vermehrt junge Menschen für diese erfüllende, aber auch fordernde Tätigkeit zu begeistern und sie vor allem im Beruf zu halten. Das ist in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung: Erstens geht es darum, die anwaltliche Vertretung als ein wesentliches Fundament des Rechtsstaates auch in Zukunft flächendeckend sicherzustellen. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Verfahrenshilfe für Menschen, die sich selbst keine Vertretung leisten können, weiterhin auf genügend Schultern verteilt werden kann. Drittens brauchen wir als Berufsstand eine ausreichende Anzahl aktiv tätiger Mitglieder, um damit unser selbst verwaltetes Pensionssystem in einem für alle zufriedenstellenden Gleichgewicht weiterführen zu können.

„Ureigenste Aufgabe der Rechtsanwälte ist es auch, Mängel in der Qualität des Rechtssystems
aufzuzeigen und dafür zusorgen, dass diese behoben werden.“

MICHAEL KROPIUNIG
PRÄSIDENT DER STEIERMÄRKISCHEN
RECHTSANWALTSKAMMER

Wird es schwieriger, junge Menschen für die Anwaltstätigkeit zu gewinnen?
KROPIUNIG: So faszinierend unsere Tätigkeit ist, lässt sie sich in manchen Bereichen nicht mit den Vorstellungen vereinbaren, die viele Menschen heute von ihrem Berufsleben haben. Viertagewoche, Work-Life-Balance mit geregelten, planbaren und unverrückbaren Arbeitszeiten: Das sind Lebensentwürfe, die der anwaltlichen Realität meist kaum standhalten. Wir sind in unserem Berufsalltag nämlich zum Großteil fremdbestimmt. Wenn plötzlich ein Klient, eine Klientin anruft und wegen drohenden Fristablaufs um anwaltliche Unterstützung ersucht oder wenn eine Verhandlung, die auf zwei Stunden angesetzt ist, dann doch länger dauert, kann ich nicht einfach alles liegen und stehen lassen, um Feierabend zu machen. Keine Frage: Unsere Tätigkeit erfordert ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft und Flexibilität, bietet aber auch viele positive Aspekte wie Unabhängigkeit, das gute Gefühl jemanden geholfen zu haben und bei entsprechendem Einsatz auch wirtschaftlichen Erfolg. Und doch müssen wir als Berufsstand versuchen, den sich verändernden Erwartungen an die Arbeitswelt Rechnung zu tragen.

Wie kann das gelingen?
KROPIUNIG: Indem wir uns überlegen, wie wir speziell jüngeren Mitarbeitern dennoch flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten können, die dem Wunsch nach mehr Freizeit, aber auch unseren beruflichen Besonderheiten Rechnung tragen. Und wir müssen den Beruf auch für Frauen attraktiver machen, indem wir Konzepte entwickeln, wie wir das wirtschaftliche Umfeld für Kolleginnen im Mutterschutz und der Karenz so attraktiv gestalten, dass sie ihrer Tätigkeit dennoch nachgehen oder danach leichter wieder aufnehmen können. Derzeit heißt die Alternative, wenn eine Rechtsanwältin oder Anwärterin Kinder bekommen will, allzu oft: nahezu ohne Unterbrechung weiterarbeiten oder aufhören. Bei den Rechtsanwaltsanwärtern ist das Verhältnis bereits annähernd ausgeglichen, im aktiven Bereich liegt der Frauenanteil aber derzeit erst bei rund 25 Prozent, auch wenn dieser in den letzten Jahren anstieg. Wir verlieren aber immer noch viele Kolleginnen vor dem Sprung in die Selbstständigkeit.

Gibt es einen Wettbewerb mit Justiz und Verwaltung um gut ausgebildete Juristinnen und Juristen?
KROPIUNIG: Vor allem Rechtsanwaltsanwärter, die die Rechtsanwaltsprüfung schon abgelegt haben, werden in letzter Zeit von der Justiz und der öffentlichen Verwaltung aus eigener Personalnot zunehmend abgeworben – was auch ganz offen kommuniziert wird. Dort wird neuerdings auch das geboten, was bei uns eben schwierig ist: Homeoffice und oft sehr freie Gestaltung der Arbeitszeit. Wenn ein Rechtsanwalt oder geprüfter Rechtsanwaltsanwärter Richter oder Staatsanwalt werden will, braucht er zudem nur noch eine kleine Ergänzungsprüfung. Für den Ausbildungsanwalt, der Geld und Zeit in den Berufsanwärter investiert hat, ist das natürlich genauso frustrierend wie für den Berufsstand. Der einzige – wenn man will – positive Aspekt daran ist, dass wir unsere Berufsanwärter so gut ausbilden, dass sie überall anders mit Handkuss genommen werden.

Bei den Hausärzten wollen immer weniger in ländlichen Regionen tätig sein. Gibt es diesen Trend auch bei Rechtsanwaltskanzleien?
KROPIUNIG: Ja. Als ich 2001 in Leoben eingetragen wurde, gab es in Graz rund 200 und in Leoben rund 25 Rechtsanwälte. Aktuell haben wir 393 in Graz und in Leoben 20. Wer rechnen kann, weiß, wo die Konkurrenz geringer geworden ist und wo nicht. Die Kanzleien, die in den Regionen tätig sind, haben meist auch eine gute Auslastung. Aber wir haben vor allem am Land massive Probleme, Berufsanwärter oder Junganwälte zu finden, weil kaum jemand aus den Ballungsräumen weg will. Auch hier muss man ansetzen und den Rechtsanwälten in den Regionen eine Möglichkeit bieten, die Vorzüge einer Tätigkeit außerhalb der Landeshauptstadt hervorzuheben.

Bei welchen Themen formulieren Sie akuten Handlungsbedarf?
KROPIUNIG: Was den Stand seit geraumer Zeit zu Recht aufregt, ist, dass in Strafverfahren die Einsicht in den elektronischen Akt für den Verteidiger meist nur befristet gewährt wird. Oft sind unzählige Anträge nötig, um zu wissen, was im Verfahren läuft. Besonders unlustig wird das dann, wenn man in den Medien dann auch noch über Verfahrensergebnisse lesen muss, über die der Verteidiger mangels Akteneinsicht selbst noch gar keine Kenntnis hat. Seit Corona und der damit einhergehenden Ausweitung der Homeoffice-Möglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung leidet auch die direkte Kommunikation zwischen Anwälten einerseits und Richtern, Staatsanwälten und anderen Beamten, da diese in der Behörde nur schwer bis gar nicht mehr zu erreichen sind. Dass man sich dann von der Vermittlung auch noch anhören muss, dass der Entscheidungsträger im Homeoffice nicht gestört werden darf, entspricht nicht unserer Vorstellung von einer modernen Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Wir stehen in beiden Punkten schon länger mit der Justizverwaltung im Gespräch, bis jetzt aber mit noch keiner erkennbaren Verbesserung. Die manchmal dazu gehörte Argumentation, dass die Entscheidungsträger sich von uns „nicht beeinflussen“ lassen wollen, ist absurd. Kein Richter lässt sich beeinflussen, nur weil ein Rechtsanwalt anruft. Uns geht es lediglich um einen Wiederaufbau einer unkomplizierten Kommunikation hauptsächlich in organisatorischen Fragen.

Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde.
KROPIUNIG: Legal-Tech und Legal-Software unterstützen uns bei Judikatur und Literaturrecherche bereits jetzt. Da wird sich noch sehr viel tun. Ich denke aber nicht, dass unsere Arbeit deswegen weniger wird, vielleicht wird manches weniger Zeit erfordern. Unsere Tätigkeit ist sehr individuell, jeder Fall unterscheidet sich vom anderen. Legal-Tech hat auch Auswirkungen auf die Arbeit in den Kanzleien: Es wird immer spezialisierter, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen mit den Legal-Tech-Anwendungen vertraut sein. Das ist eine anspruchs volle Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen Mandanten, Justiz und Verwaltung. Und die Kosten einer Kanzlei werden auch steigen, da man bald nur mehr dann konkurrenzfähig sein wird, wenn man in diese Systeme investiert.

Wie werden Sie Ihre Rolle als Präsident anlegen?
KROPIUNIG: Offen und kommunikativ, aber auch wenn nötig fordernd, wenn es um die Interessen unseres Berufsstandes geht. Der Status eines freien Berufs und die Aufrechterhaltung der Selbstverwaltung sind gerade für unseren Stand wesentlich. Wir müssen dafür auch präsent sein und netzwerken. Ureigenste Aufgabe der Rechtsanwälte ist es auch, Mängel in der Qualität des Rechtssystems aufzuzeigen und dafür zu sorgen, dass diese behoben werden. Dies ist meist die Aufgabe der Rechtsanwaltskammer, damit sich ein einzelner Rechtsanwalt nicht exponieren muss. Ich freue mich zudem auf die Zusammenarbeit mit meinen beiden erfahrenen Vizepräsidenten und den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, die wie alle Funktionäre der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer ehrenamtlich viel Zeit für die Vertretung unserer Berufsgruppe aufwenden.

Fotos: SPIRIT/ARNOLD JARITZ

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