Spirit of Styria

DIE STÄHLERNE LADY – Gespräch über einen Werkstoff im Wandel

Die neue Leiterin des Lehrstuhls für Eisen- und Stahlmetallurgie
an der Montanuniversität Leoben (MUL) Susanne Michelic schildert Wege zur „grünen“ Stahlindustrie, erläutert die Schlüsselrolle des steirischen Standortes und erklärt, wieso das Material alternativlos ist.

Susanne Michelic formuliert es unmissverständlich: „Wir stehen vor einem revolutionären Umbruch – auch und besonders in der Eisen- und Stahlmetallurgie.“ Als Grundbaustein der Moderne ist Stahl weder aus dem kollektiven noch aus dem individuellen Leben wegzudenken: Infrastruktur, Verkehr und Transportwesen, Produktion, Kommunikation, Mobilität, Gesundheitswesen, Haushalt – nichts geht ohne den Werkstoff. Er verbirgt sich oft – wenn nicht im Produkt, dann in der Herstellung: „Kunststoff-Mülltonnen, Motorradhelm-Visiere, ja, sogar Handzahnbürsten werden mithilfe von Stahl produziert.“ Ohne die Metalllegierung sei unser Lebensstandard nicht haltbar, betont die Forscherin. Das ist möglich, weil Stahl in rund 2.500 Sorten daherkommt, in denen er völlig unterschiedliche Materialeigenschaften und Zwecke erfüllen kann. Diese werden u.a. über den Kohlenstoffgehalt reguliert: „Die Automotiveindustrie verwendet für Autobleche beispielsweise ULC-Stahl (von ultra low carbon, Anm.). Mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,003 % ist er verformbar und bietet die perfekte Grundlage für Oberflächenlackierungen.“ Hochlegierte, sogenannte Schnellarbeitsstähle hingegen verfügen über 1 % Kohlenstoff, sind hart und verschleißfest. Diese sind in Form von Fräswerkzeugen, Bohrer oder Meißeln im Einsatz: zwei Beispiele an den entgegengesetzten Enden einer riesigen Bandbreite.

Susanne Katharina Michelic
geb. 1983 in Leoben verheiratet, zwei Töchter

Wissenschaftliche Laufbahn (Auszüge)
Juni 2007: Abschluss Masterstudium Metallurgie an der Montanuniversität Leoben (mit Auszeichnung)
Juli 2011: Promotion an der MUL (mit Auszeichnung)
2012/13: Forschungsingenieurin – ThyssenKrupp Steel Europe und Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH in Duisburg, Deutschland 
April 2018: Habilitation bzw. Lehrbefugnis für das Fach Stahlmetallurgie an der MUL
2018-2023: Assoziierte Professorin – Leitung der Arbeitsgruppe Inclusion Metallurgy 
seit Sept. 2021: Leitung des Christian Doppler Labors für Einschlussmetallurgie in der modernen Stahlherstellung an der MUL
seit Oktober 23: Leiterin des Lehrstuhls für Eisen- und Stahlmetallurgie


Preise und Auszeichnungen
2007: Rektor-Platzer-Ring für exzellente Studienleistungen
2012: Inteco ASMET Award
2017: Nominierung für den Ars docendi für exzellente Lehre
2023: Nominiert für den/die Österreicher/in des Jahres in der Kategorie Forschung 

STAHL – LICHT UND SCHATTEN
Der Tausendsassa unter den Materialien birgt eine jedoch auch andere, dunklere Seite: Denn so wie Stahl traditionell erzeugt wird, hält er mit den Klimazielen nicht Schritt. Im Gegenteil: Jährlich werden knapp 1,9 Milliarden Tonnen des Materials erzeugt, das übertrifft die Menge aller übrigen metallischen Werkstoffe zusammen um mehr als das Zehnfache. Dabei ist Stahl für rund zehn Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich; in Mitteleuropa verursacht er knapp ein Drittel des industriellen Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes. Wissenschaft und Wirtschaft stehen vor einer gigantischen Herausforderung, denn das Jahr 2050 als anberaumter Meilenstein der Green Transition „rückt schneller näher, als vielen Menschen bewusst ist“, macht Susanne Michelic deutlich: „Forschung und Entwicklung brauchen Zeit; und in der Stahlproduktion bedarf es nicht nur einer Reduktion des CO2-Ausstoßes, sondern völlig neuer Verfahren, Prozesse und Denkansätze.“

„Es macht so viel Freude, Ideen aufzugreifen, die auf den ersten Blick fachfremd
erscheinen und dennoch
so großes Potenzial
für uns bergen.“

SUSANNE MICHELIC
LEITERIN DES LEHRSTUHLS FÜR
EISEN- UND STAHLMETALLURGIE
MONTANUNIVERSITÄT LEOBEN

WASSERSTOFF – TECHNOLOGIE DER WENDE?
Zwei Wege führen zum Werkstoff: Als Ausgangsmaterial dienen alternativ entweder Eisenerz oder Stahlschrott. In Österreich dominiert erstere Methode, das heißt, dass man Eisenoxid im Hochofen um den Sauerstoff reduziert. Ergebnis: Roheisen, das dann mit anderen Metallen (vorrangig Mangan, Silizium, Chrom oder Nickel) in weiteren Legierungsschritten zum gewünschten Stahlprodukt verarbeitet wird. „Um das Eisenerz vom Sauerstoff zu trennen, setzt die Industrie Kohlenstoffträger wie Koks oder Kohle ein“, erklärt Michelic. „In der Reaktion im Hochofen bindet sich dieser an den Träger, wird also zu CO2.“ Alternativen zu diesem nicht nachhaltigen Prozess werden derzeit sehr stark beforscht: „Ersetzt man den Kohlenstoff mit Wasserstoff, erhält man als Endprodukt H2O, also Wasser bzw. Wasserdampf. Wir sehen immenses Potenzial in dieser Technologie.“ Die Leobner Forscherinnen und Forscher testen aktuell geeignete Aggregate und Verfahren mit dem Ziel, den Prozess kontinuierlich vom Labormaßstab über Demonstrationsanlagen und Pilotprojekte bis zur Industrietauglichkeit hochzuskalieren. Susanne Michelic verweist erneut auf den Faktor Zeit in der Wissenschaft: „Wasserstoff als Reduktionsmittel war erstmals im Jahr 1988 Thema einer Dissertation an der Montanuniversität.“

STEIERMARK – STARKER STANDORT
Apropos: Mit der Eisen- und Stahlmetallurgie leitet die Leobnerin einen Gründungslehrstuhl der MUL, deren Anfänge fast 200 Jahre zurückreichen. Den Grundstein legten die beiden Fachdisziplinen „Bergbau und Hüttenwesen“ – Letzteres meint die heutige Eisen- und Stahlmetallurgie. „In Nähe zum Erzberg hat sich ein starker, hochvernetzter Standort entwickelt. Wir kooperieren eng mit regionalen Betrieben, schwerpunktmäßig in der Steiermark, aber auch in Oberösterreich.“ International reicht das Netzwerk über Mitteleuropa hinaus bis beispielsweise nach Südkorea – „einer hochinnovativen Region auf dem Stahlsektor“. Andernorts dient häufig nicht Eisenerz, sondern Stahlschrott als primärer Träger, „ein zunehmend wertvoller Rohstoff.“ Er wird im Elektrolichtbogen-Ofen weiterverarbeitet. „Das funktioniert jedoch nur bis zu einer begrenzten Stahlgüte, da Reste von Spurenelementen wie Kupfer oder Zinn nicht vollständig zu entfernen sind und die Werkstoffeigenschaften negativ beeinflussen.“

„Wir stehen vor einem
revolutionären Umbruch
– auch und besonders
in der Eisenund
Stahlmetallurgie.“

SUSANNE MICHELIC
LEITERIN DES LEHRSTUHLS FÜR
EISEN- UND STAHLMETALLURGIE
MONTANUNIVERSITÄT LEOBEN

GRUNDLAGENFORSCHUNG NEU ANGEWANDT
Wie in allen Industriesektoren gewinnt Recycling massiv an Bedeutung. So verfügt die Montanuniversität über ein breites interdisziplinäres Portfolio in der Kreislaufwirtschaft, welches die Forschungserfolge befeuert. Unter den vielen Kooperationen der Leobner Lehrstühle (zu Themen wie der Wasserstoffgewinnung oder dem Einsatz von KI) greift Michelic eine als besonders innovativ heraus: „Im Christian-Doppler-Labor arbeiten wir eng mit dem Lehrstuhl für Allgemeine und Analytische Chemie zusammen. Es handelt sich eigentlich um ein Grundlagenfach, dessen Methoden sich aber auch für die angewandte Forschung hervorragend eignen.“ Die sogenannte Isotopenanalytik dient traditionell der Altersbestimmung von Materialien oder auch der Herkunftsbestimmung in der Lebensmittelindustrie. „Wir hingegen nutzen das Verfahren, um zu untersuchen, wo im komplexen Produktionsprozess nichtmetallische Einschlüsse entstehen.“ Dabei handelt es sich um Fehlstellen im Stahl, welche die Materialqualität beeinträchtigen. „Eine echte Detektivarbeit! Dass wir dabei auf Know-how aus der Grundlagenforschung zurückgreifen und sie für neue Anwendungen erschließen, um Probleme in Betrieben zu lösen, ist eine bemerkenswerte Synergie. Es macht so viel Freude, Ideen aufzugreifen, die auf den ersten Blick fachfremd erscheinen und dennoch so großes Potenzial für uns bergen.“

UNIVERSITÄT MUSS BEGEISTERN
Ein Anliegen ist der mehrfach ausgezeichneten Wissenschafterin das Werben um Nachwuchs: Es brauche Brain- und (Wo)Manpower für den industriellen Wandel. „Ich möchte bei jungen Menschen das Bewusstsein dafür schärfen, welch zentrale Rolle die Fachdisziplinen an der Montanuniversität spielen, wenn wir die Zukunft nachhaltig gestalten wollen.“ Die derzeit beforschten und gelehrten Technologien bilden einen Baustein auf dem Weg zur Lösung: „Es ist keine Alternative, die Errungenschaften des modernen Lebens abzuschaffen. Wir Universitäten müssen selbst Botschafter sein und nachfolgende Generationen für unsere Fächer begeistern.“

Fotos: Oliver Wolf

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