Mit „Bum Bum Tschak“ zum Longplayer: Wie Fehring zum Mekka für Musikliebhaber und zum Hotspot für heimische Top-Künstler wurde. Peter Wendler, Gründer und Geschäftsführer von Austrovinyl, Österreichs erstem und einzigen Vinylwerk, über wohlklingenden Unternehmergeist, Metal-starke Partnerschaften, aktuelle Herausforderungen und ein Dankesschreiben von „Bilderbuch“.
Brösel, Würstchen, Donut, Palatschinke. Das Making-of einer Schallplatte gleicht einem kulinarischen Kurztrip. Zumindest in der Fertigungshalle des Werk2 von Austrovinyl in Fehring: Bröselgroße Granulat-Kügelchen aus Vinyl werden hier im hinteren Teil der Pressmaschine zu wurstähnlichen Gebilden verschmolzen, diese daraufhin zu einem „Donut“ zusammengerollt, ehe die faustgroße Masse zur Scheibe verpresst wird. „Die ersten Platten ganz zu Beginn hatten noch die Form einer Palatschinke“, lacht Unternehmensgründer Peter Wendler bei einem Rundgang durchs Werk. „Es hat ein paar Anläufe gebraucht, bis wir in der Lage waren, in der Top-Qualität von heute zu erzeugen.“ Bis zu 3.000 Platten sind es mittlerweile pro Tag. Scheibe für Scheibe nehmen die Mitarbeiter die „ofenwarmen“ Tonträger aus dem Gehäuse der Maschine und stapeln sie zum Auskühlen auf einem Zwischenregal. Über den drei Pressmaschinen schlängelt sich ein Dickicht an Rohren und Leitungen – für Wasser, Strom, Dampf, Druckluft. Konstruiert vom Firmengründer selbst, Absolvent des Studiums Maschinenbau-Wirtschaft an der TU Graz. In das Schnaufen der Hydraulik mischen sich standesgemäße Klänge einer Metal-Band. „Ein Kunde von Austrovinyl. Das hören wir schon den ganzen Tag“, lächelt ein Mitarbeiter, ehe er orangefärbiges Granulat (frische Brösel) in einen Trichter schüttet.
Der Exportanteil beträgt bereits 40 Prozent. Künstler aus Deutschland, Slowenien und Kroatien lassen bei uns pressen.
PETER WENDLER, GRÜNDER UND GESCHÄFTSFÜHRER AUSTROVINYL
Eine Vielzahl populärer sowie nischenbekannter Künstler sind Auftraggeber von Österreichs einzigem Vinylwerk. Musikstars wie „Seiler und Speer“, Christina Sürmer, Aut of Orda, Lemo oder Bilderbuch lassen hier ebenso pressen wie kleine und größere Musiklabels, allen voran das international erfolgreiche Rock- und Metal-Label Napalm Records mit Sitz in Eisenerz und Niederlassungen in Berlin und New York. Mit einer Auflage von 10.000 Stück sorgte auch eine Metal-Gruppe aus Kalifornien – „Five Finger Death Punch“ – für den bisher größten Einzelauftrag der Geschichte. „Das Werk erreichte Platz zwei der deutschen Album-Charts“, freut sich Wendler. Insgesamt wurden seit der Gründung im Jahr 2017 nicht weniger als zwei Millionen LPs in Fehring produziert. „Der Exportanteil beträgt bereits 40 Prozent. Künstler aus Deutschland, Slowenien und Kroatien lassen bei uns pressen“, so Wendler. „Der Radius erweitert sich laufend. Längst betreuen wir auch Künstler aus Nordmazedonien, Bulgarien und Rumänien.“
Die Welt ist eine Scheibe für die drei Austrovinyl-Gründer:
Peter Wendler, Johann Koller und Johann Fauster (v.l.)
Austrovinyl Österreichs erste und derzeit einzige Schallplattenpresse, angesiedelt im südoststeirischen Fehring, Produktion im Werk2 sowie in einem 300 Jahre alten Bürgerhaus (Ursprungswerk, wo heute noch Teile der Produktion stattfinden) Der Leistungsumfang umfasst Mastering und Lackschnitt sowie Galvanik und Produktion auf moderner vollautomatischer Vinylpresse sowie handelsfertige Verpackung. USP: Neben klassischem Schwarz ist das Vinyl in 24 Farben erhältlich – deckend, transparent, marmoriert oder gesplattert Kleinserien bis Großauflagen, Mindestauflage 100 Stück Kapazität: 3.000 Platten pro Tag Bislang wurden rund zwei Millionen Tonträger gepresst. Künstler (Auswahl): Seiler und Speer, Bilderbuch, Christina Stürmer, Aut of Orda, Lemo, Herbert Pixner, Back-Kataloge von Georg Danzer, Ludwig Hirsch und STS, Ernst Molden, Nino aus Wien, Mavi Phoenix, Bibza, Camo & Kroocked, Five Finger Death Punch Bunter Genre-Mix: Pop, Rock, Metal, Jazz, Indie, Elekro, Crossover, Experimentelle Musik etc. Gesellschafter: Peter Wendler, Johann Fauster, Johann Koller sowie Napalm Records Rund 25 Mitarbeiter www.austrovinyl.at
WIE ALLES BEGANN: MARKTLÜCKE MIT TÜCKE
Angefangen hat alles mit einer Mischung aus Passion und Businesslogik. Wendler, schon seit seiner Schulzeit im BG/BRG Fürstenfeld leidenschaftlicher Plattensammler und Hobby-DJ, registrierte vor rund zehn Jahren eine Renaissance der runden Scheibe, die in den Nullerjahren klinisch tot war. „Nach und nach kehrte Vinyl auf den Plattenteller von Musikliebhabern sowie von DJ-Artists zurück. Durchaus zum Vorteil der Musikschaffenden, die damit in Zeiten von Streaming eine neue Einkommensquelle erschlossen“, so Wendler. „Gleichzeitig sah ich, dass die Lieferzeiten immer länger wurden, ich musste oft Monate lang auf bestellte Schallplatten warten. Die wenigen verbliebenen Werke – in Deutschland und Tschechien – waren voll ausgelastet. “ Eine klassische Marktlücke, in die der Steirer fortan stoßen sollte. Zwar verfügte der langjährige Vertriebsleiter großer heimischer Anlagenbauer in der Stahlindustrie über technisches Know-how, ansonsten war es für ihn ein Sprung ins kalte Wasser. „Von Plattenproduktion hatte ich keinen Schimmer, ebenso wenig gab es Kontakte ins Musikbusiness“, so Wendler, der nach intensiver Recherche in Schweden einen Produzenten von Vinylpressmaschinen ausfindig machen konnte und schließlich begann, in einem leer stehenden Gebäude neben seinem Fehringer Wohnhaus mit ersten Pressungen zu experimentieren – zu Beginn noch parallel zu seinem Hauptjob. Zu dieser Zeit – im Jahr 2017 – war das Projekt bereits zu einem Triumvirat gewachsen, denn mit Johann Fauster konnte Wendler einen studierten Musiker und Toningenieur ebenso von der Idee überzeugen wie Marketingprofi und Kernölpionier Johann Koller (Kürbishof Kollerhof).
Legendär der erste Kunde: Eine zufällige Begegnung mit der österreichischen Indie-Band DelaDap bei einem Buschenschank im unweiten Tieschen bescherte den Debut-Auftrag. „Danach wurden wir rasch in der Community des Künstlers weitergereicht und es lief relativ gut an. Mundpropaganda hat uns mehr und mehr Aufträge gebracht“, so Wendler, der die Geschäfte gemeinsam mit Johann Fauster führt. Der riesen Marktvorteil: Österreichische Künstler sind bei Werken im Ausland oft nur Nummern, die sich hinten anstellen müssen. „Wir können mit vollem Service punkten – auch die gemeinsame Sprache ist ein Vorteil.“ Zudem stellt die Produktion in 24 Farben neben dem klassischen Schwarz einen gern genutzten USP dar. „Kundenzufriedenheit hat höchste Priorität.“ Umso mehr freut sich Wendler über Lob von Auftraggebern. Zuletzt erreichte ihn ein Dankesschreiben von der Erfolgsband Bilderbuch. Dennoch ging der Weg seit der Gründung nicht geradlinig nach oben, gibt der Unternehmer zu. „Vor allem Corona war ein Schock“, erinnert sich der vierfache Familienvater. Die Krise sollte sich auf Sicht allerdings als Chance erweisen. „Da wir die Lieferengpässe im Laufe des Jahres besser handeln konnten als große Werke, hatten wir in der zweiten Jahreshälfte einen starken Zulauf.“ Die vermehrte Nachfrage machte eine Expansion nötig. Zu dieser Zeit trat Napalm Records, das auf der Suche nach einem Produktionspartner war, an Austrovinyl heran. Rasch fasste man den Entschluss einer gemeinsamen Großinvestition an einem neuen Standort: Am 11.11.2022 feierte das Werk2 in Fehring seine Eröffnung. Nicht weniger als 3,5 Millionen Euro wurden investiert. Mit 20 Prozent ist Napalm seither am Unternehmen beteiligt. Wendler: „Ein wichtiger und verlässlicher Partner für die Zukunft von Austrovinyl.“
The Making-of: vom Granulat zur Schallplatte
FERTIGUNGSSTÄTTE UND EVENT-LOCATION
Das neue Werk ist weit mehr als eine Fertigungsstätte. Tagsüber bzw. abends steht es als Cafe-Bar Besuchern offen, nachts fungiert das Werk mit dem markanten Riesentransparent „Bum Bum Tschak“ an der Fassade als coole Clubbing- und Event-Location. Regelmäßig finden DJ-Nights und Live-Konzerte statt. „Zudem ist das Werk eine Erlebnismanufaktur, in der man hautnah dabei sein kann, wie Schallplattem entstehen. Wir bieten auch Führungen an. Auch ein Shop ist im Aufbau“, so Wendler, der selbst immer wieder als DJ Peta an den Turntables dreht. „Damit wollen wir möglichst viele Menschen zu uns in die Region bringen, Fehring soll zum Mekka für Musikliebhaber werden“, so Wendler, der sich auch immer wieder über prominenten Besuch freuen darf. Unlängst konnte er Christina Stürmer, die ihr MTV Unplugged-Album bei Austrovinyl auf Platte pressen ließ, begrüßen. „Wir arbeiten konsequent an unserer Vision, der permanenten Weiterentwicklung des Standorts“, so der Unternehmer. „Gemeinsam mit Napalm wollen wir das Potenzial im In- und Ausland nutzen. 80 Prozent des Musikmarkts entfällt heute auf das Streaming, der Rest verteilt sich auf CD und Vinyl“, verrät Wendler. „Wobei der Vinylanteil zuletzt stark steigend war und weiter steigen wird.“ Was ihm ebenso zugute kommt: „Die österreichische Musikszene ist sehr lebendig und produziert auf irrsinnig hohem Niveau – technisch und kreativ. Von dieser Dynamik profitieren wir.“
Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, ansonsten sehe ich unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.
PETER WENDLER, GRÜNDER UND GESCHÄFTSFÜHRER AUSTROVINYL
Gleichzeitig will der 50-Jährige die aktuellen Herausforderungen nicht verleugnen und spricht gleichsam die B-Seite der Erfolgsstory an. „Die Energiekosten sind im Jahr 2022 durch die Decke gegangen und haben sich versiebenfacht. Bis heute warten wir auf die Auszahlung des Energiekostenzuschuss II“, so Wendler. „Ich kann nur hoffen, dass Politiker und Wirtschaftsvertreter die Sorgen und Nöte der Wirtschaft wirklich ernst nehmen. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen für Unternehmen rasch zu verbessern, ansonsten sehe ich unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet – das betrifft viele Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Arbeitskosten, Energie und Bürokratie – hier müssen dringend Maßnahmen gesetzt werden. Bum Bum Tschak!“
FOTOS: OLIVER WOLF, AUSTROVINYL