Spirit of Styria

“DIE EREIGNISSE überschlagen sich”

 Botschafter einer Revolution: Die Technologie der Künstlichen Intelligenz (KI) wird den Alltag jedes Einzelnen verändern und die globale Gesellschaft revolutionieren, prognostiziert Andreas Windisch, Teilchenphysiker und internationaler KI-Experte am Joanneum Research. Warum wir uns auf die Entwicklung einlassen müssen, wo sich Europa positioniert und wie die steirische Fachkompetenz sichtbarer werden kann, darüber sprachen wir mit dem Forscher.

Die Ereignisse überschlagen sich. Täglich publiziert die Wissenschaft neue Erkenntnisse, erschließen Unternehmen für sich neue Anwendungen, wird der Bedarf an Regulatorien größer“, pointiert Andreas Windisch die aktuelle Dynamik der Artificial Intelligence (AI). Der hochqualifizierte Wissenschafter – er promovierte sub auspiciis und forschte mit einem Erwin-Schrödinger-Fellowship an der Washington University in den USA – agiert mit Leidenschaft an der Nahtstelle von Forschung, Wirtschaft und Legislative, um die Technologie in Österreich voranzutreiben und zu etablieren.

„Das Thema KI ist hart
und komplex. Es übersteigt
in seiner Dimension jede
Disziplin, Branche und
Institution. Synergien sind
der Schlüssel.“

ANDREAS WINDISCH
TEILCHENPHYSIKER
UND KI-EXPERTE

Andreas Windisch
Geboren 1977 in Graz, studierte theoretische Teilchenphysik an der Universität Graz und promovierte 2014 sub auspiciis praesidentis 

Nach fast fünf Jahren als PostDoc an der Washington University in St. Louis in den USA kehrte er als Forschungsteamleiter ans Grazer Know-Center zurück. 

Windisch leitet die Forschungsgruppe Intelligent Vision Applications am JR-Institut DIGITAL sowie die „Reinforcement Learning Community“, eine Arbeitsgruppe von „AI Austria“ und „Honorary Research Scientist“ der Washington University. 
Zudem lehrt er KI und Machine Learning an der FH JOANNEUM sowie Quantum Computing an der TU Graz. 

GROSSE DURCHBRÜCHE
KI verzeichnete große Durchbrüche in den letzten 15 Jahren. Windisch spricht von drei disruptiven Events: Den Anfang machten tiefe künstliche neuronale Netze (im Fachjargon CNN: Convolutional Neural Networks) in den 2010er-Jahren. Es handelt sich um ein von menschlichen Gehirnprozessen inspiriertes Konzept im Bereich Machine Learning, das in der maschinellen Verarbeitung von Bild- oder Audiodaten „alles bisher Dagewesene übertraf. ‚Deep Learning‘ hat damit richtig angezogen. Möglich wurde das nicht zuletzt durch die ubiquitäre Leistung leistungsstarker Grafikkarten.“

Einen zweiten maßgeblichen Schritt setzte im Jahr 2017 das autodidaktische Computerprogramm ‚AlphaZero‘ von DeepMind, das komplexe Brettspiele mithilfe von Algorithmen selbstständig erlernte. Mit Spielregeln und Siegesbedingungen „gefüttert“, trat das System so lange gegen sich selbst an, bis es Strategiespiele wie Schach und Go virtuos beherrschte. Letzteres genießt in China, Japan und Korea ein dem westlichen Schachspiel vergleichbares Ansehen.

SIEGESZUG: NEUE INHALTE SCHAFFEN
Windisch: „Aufbauend auf dieses Know-how und der Transformer-Architektur erlebten wir letztes Jahr einen Siegeszug der generativen Modelle“ – also von Systemen, die neue Inhalte produzieren: Texte, Grafiken und Tabellen, Audiofiles, Bilder und Videos. „Diese Systeme beeindrucken schon heute mit ihrer enormen Leistungsfähigkeit. Sie bergen das Potenzial, auf uns als Gesellschaft in allen Bereichen Einfluss zu nehmen“, verdeutlicht Andreas Windisch. Die Forschung testete sie auf Herz und Nieren – mit Erfolg: „Trotz einer grundsätzlich möglichen Fehlerhaftigkeit lösen diese Systeme oft bereits spezifische mathematische Teilprobleme und beschleunigen so den wissenschaftlichen Prozess enorm.“ So hätte er selbst das System anhand einer Datenbank getestet, die „auf eine irrwitzige Zahl von wissenschaftlichen Publikationen trainiert ist in der Größenordnung von über 200 Millionen wissenschaftlichen Publikationen.“ Windisch stellte der AI eine spezifische Frage, die er selbst in „ziemlich exotischen Papers“ behandelt hatte. Das System zitierte die korrekten Studien und gab die richtige Antwort.

Das Potenzial der immensen Produktivitätssteigerung offenbart sich auch in der Softwareentwicklung: „Co-Pilotsysteme unterstützen insbesondere unerfahrene Junior Developer bei ihrer Arbeit und vervielfachen ihre Effizienz.“ So beherrscht KI etwa Auto Completion von Codes, agiert also als Programmier-Assistent, der in Echtzeit antizipiert, was die Forscherin oder der Forscher erzielen will. Am entgegengesetzten Ende der Skala vereinfacht KI handfest den Arbeitsalltag, indem sie Arbeitskräften in der produzierenden Industrie aus Tausenden Maintenance-Manuals die notwendigen Schritte für die Wartung einer Maschine herausfiltert oder im Officebereich Präsentationen, Tabellen und Grafiken erstellt. Freilich sind die Modelle nur so gut, wie der Informationsschatz, auf den sie zugreifen können. Windisch nennt ein bekanntes Problem: „Large language models werden auf riesigen Textkorpora trainiert, schön langsam geht der hochqualitative Text allerdings zur Neige. Wir verfügen schlicht über zu wenig Quellen von exzellenter Qualität. Es bleibt bei derzeitigem Stand also das Restrisiko, das die Systeme falsch schlussfolgern, halluzinieren, und der Versuch schiefgeht.“

REGULIERUNGSCAMP EUROPA
So uneingeschränkt global die Künstliche Intelligenz erstarkt, so unterschiedlich definieren Staaten und Regierungen ihre Rolle angesichts der Implikationen der neuen Technologie. Andreas Windisch: „Geopolitisch verorten wir Europäer uns im ‚Regulierungscamp‘. Die EU will die Anwendung von KI steuern und so sicherstellen, dass sie dem Wohle der Bürgerinnen und Bürger dient. Konkret heißt das, die Systeme so zu konstruieren und zu kontrollieren, dass sie Missbrauch ausschließen oder zumindest erschweren.“ Mit dem Artificial Intelligence Act (AIA) regelt die EU-Kommission den Umgang mit künstlich intelligenten Systemen in der Forschung und Wirtschaft. „Diese Aufgabe fordert und vereint unterschiedliche Disziplinen, und das ist schwierig unter einen Hut zu bekommen“, erklärt Windisch, der selbst in Gremien zur Vorbereitung der Gesetzgebung eingebunden war und ist. „Techniker sprechen von ganz anderen Dingen als Juristen – die Akteure aus beiden Welten zu einem gemeinsamen Verständnis zu führen und gemeinsame Standards zu schaffen, beschäftigt uns aktuell.“ Besonders viel Aufmerksamkeit beanspruchen etwa Hochrisikobereiche der KI wie Gesundheit, Sicherheit, Bildung, Strafverfolgung, Grundrechte und Umwelt. Hier können KI-gesteuerte Entscheidungen oder Fehleinschätzungen der AI die Rechte eines Menschen beschneiden oder beeinträchtigen. Um dem vorzubeugen, müssen wir sie einem Regulatorium unterziehen.“ Zum Einsatz kommen Maßnahmen der Datensicherheit oder das Prinzip der Human Oversight, demzufolge Menschen die Entscheidungen des Systems evaluieren und gegebenenfalls korrigieren. Staaten wie Indien oder die Schweiz hingegen verfolgen den „Pro-Innovation“-Ansatz. „Das heißt, sie greifen derzeit mit keiner anwendungsspezifischen Gesetzgebung in den Entwicklungsprozess ein.“

DEN MENSCHEN NICHT VERLIEREN
Windisch begrüßt den europäischen „menschenzentrierten“ Ansatz: „Technologisch sind uns die US-Riesenkonzerne voraus, auch, weil sie durch soziale Netzwerke über einen großen Datenvorsprung verfügen. KI kann die Gesellschaft aber nur nachhaltig voranbringen, wenn wir den individuellen und kollektiven Mehrwert für uns alle sicherstellen. Sonst verlieren wir irgendwann im Fortschritt den Menschen.“

DIE STEIERMARK MUSS SICHTBAR WERDEN
Auch die Steiermark verfüge über ein beachtliches Know-how, in puncto Wissenstransfer und internationale Sichtbarkeit herrsche aber noch Luft nach oben: „Wir haben großartige Kompetenzen an Universitäten, in Forschungsinstitutionen und Unternehmen. Was fehlt, ist eine Plattform, die alle Player miteinbezieht und aktiv vernetzt.“ So engagiert sich Andreas Windisch aktiv, Synergien zu bilden zwischen seinen forschenden, lehrenden und beratenden Tätigkeiten – bei JR in der Forschungsgruppe „Intelligent Vision Applications“ mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an der FH JOANNEUM und der TU Graz, im Thinktank AI Austria und in weiteren persönlichen Initiativen – und Fachleute an einen Tisch zu bringen. „Das Thema ist hart und komplex. Es übersteigt in seiner Dimension jede Disziplin, Branche und Institution. Synergien sind der Schlüssel.“

Fotos: JOANNEUM RESEARCH/BERGMANN, ISTOCK

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