Spirit of Styria

KOMPOSITIONEN, die an der Zeit zerren

Die aufstrebende Malerin Anja Korherr erhielt 2023 den Kunstförderpreis der Stadt Graz und wird von vielen Kritikern trotz ihres jungen Alters schon als große Surrealistin angesehen. Wir sprachen mit ihr über die herausfordernde Komposition großformatiger Bilder, über ihre Methode, Raum und Zeit in ihre Werke zu integrieren, und dass Sich-Zeit-Nehmen gerade bei gefülltem Terminkalender lohnt.

Wer kennt das nicht aus der Schulzeit: Aus Langeweile, und weil man im Unterricht nicht aufpasste, kritzelte man sein Notizheft voll. Doch dass daraus irgendwann eine Kunstkarriere entsteht, daran denken die wenigsten. Bei der auf surrealistische Kunst spezialisierten Malerin Anja Korherr war es erstmal nicht viel anders: „Ich dachte eher daran, Polizistin zu werden, weil ich mir dachte, das ist voll actionreich. Das würde ich jetzt nie wieder sagen!“, lacht die steirische Künstlerin, die sogar einmal fast eine Assistentenstelle bei einem Privatdetektiv ergattert hätte. „Doch da braucht man ein Studium“, sagt Korherr, die froh ist, sich anders entschieden und dem Ruf ihres gestalterischen Talents gefolgt zu sein: „Ich habe an der Ortweinschule eine Ausbildung für Bildhauerei und die Meisterklasse Malerei abgeschlossen – und wurde von meinen Lehrern ermutigt, die Kunst weiterzuverfolgen. Und die Kunst wird es definitiv für mich bleiben“, verrät Korherr, die heute „Experimentelle Kunst“ bei Anna Jermolaewa an der Kunstuniversität Linz studiert. Anja Korherr will einmal selbst unterrichten. „Obwohl ich der Meinung bin, dass man gerade die Malerei, bis auf die technischen Basics vielleicht, schwer lernen kann.“

„Ich wiederhole Motive häufig und versuche, mir so viel Zeit wie möglich einzuräumen, um die Richtung, in die ich mit meiner Kunst gehen möchte, weiterzuentwickeln.“

ANJA KORHERR
KÜNSTLERIN

DIE KUNST DER WIEDERHOLUNG
Von den ersten Zeichnungen in Notizbüchern zu den heute nicht seltenen raumfüllenden, überdimensionierten Werken war es ein weiter Weg. „Dennoch bin ich den Skizzenbüchern treu geblieben. Ich zeichne und male unentwegt. Das ist ein Fixpunkt in meinem Leben“, so Korherr, die 2023 den Kunstförderungspreis der Stadt Graz erhielt.

Auch die vielschichtige Kunst der aufstrebenden Malerin lebt von der Wiederholung, von Fixpunkten. Figuren kommen doppelt vor – ein Markenzeichen Anja Korherrs – überlappen sich, während ihre gemalten Körperformen sich kubistisch in Zersplitterungen, Verzerrungen und Auflösungen befinden. „Ich wiederhole Motive häufig und versuche, mir in meinem Atelier im Grazer Schaumbad so viel Zeit wie möglich einzuräumen, um die Richtung, in die ich mit meiner Kunst gehen möchte, weiterzuentwickeln“, so Korherr. Bewusst reduziert und karg, wie es im frühen Surrealismus Dalí, Max Ernst oder Westerdahl vorzeichneten, schweifen Korherrs nach pyramidalkompositorischen Gesichtspunkten gestalteten Werke perspektivisch in die Weite. Gerade diese Tiefe erzeugt die eigenwillige Sogwirkung, der man sich als Betrachter nur schwer entziehen kann – es passiert viel darin, das erst bei mehrmaligem Hinsehen zu erkennen ist.

Die Künstlerin vereint Comic, surrealistischen
Kubismus und Fotografie zu einem Ganzen.

Der Grazer Kunstdozent und Kunstkritiker Ulrich Tragatschnig drückt es so aus: „Mit den Perspektiven sind bei Korherr Fluchten gegeben, die neben dem einen Standpunkt, auf den sie die Betrachtenden verweisen, auch ein Bewegungsmoment in sich tragen. (Begriffe wie Flucht, fluchten oder Fluchtlinie sind so unmissverständlich, wie der Tiefensog, den sie bewirken, unhintergehbar ist). Sie lassen den Blick durch Räume schweifen“ und sieht in den Überlagerungen psychologisch vielfältig ausdeutbare, zwischenmenschliche Episoden.

Die vielen Schichten in Anja Korherrs Werken, einander überlagernd wie Ölfarbsedimente, sind laut der Künstlerin aneinandergereihte, surreale Geschichten, aus ihren nächtlichen Träumen stammend. „Nach einem Praktikum bei der Comiczeichnerin Edda Strobl habe ich gelernt, wie aus aneinandergereihten Bildern eine Geschichte entstehen kann. Ich habe dann den Comicaspekt mit dem Wunsch, luzides Träumen zu lernen, in meiner Malerei verbunden“, erklärt die junge Künstlerin, für die jede Überlagerung einen eigenen Zeitstrom in ihrem ganz persönlichen Traumkosmos bildet.

ÜBERLAGERUNGEN VON ZEIT
Die Idee, Ebenen miteinander zu vermischen, kam Anja Korherr spontan bei einem Fotoshooting mit Freunden: „Indem ich mehrere nacheinander aufgenommene Fotos wie ein Sudoku zusammenfügte, sah es aus, als würden unterschiedliche Perspektiven zusammengehen. Als würde man mehrere Zeiten und Zeitpunkte in einem Bild konservieren und einfangen“, sagt Korherr, die ihre Bilder auch als Orte sieht – die Menschen darin, wie in einem Bühnenbild, angeordnet und angeortet, verortet. Obwohl sie sich bewegen. Doch entsteht ihre Bewegung erst, indem die Betrachter ihre Perspektive wechseln, ihren Standpunkt: am Werk vorbeigehen, nahe heran oder weiter weg. Ganz, wo – und wann – man sich im Kosmos der Künstlerin selbst befinden will, tritt man in einen surreal anmutenden Dialog aus Raum und Zeit.

Sich überlagernde Zeitebenen, auf Leinwand gebannt.

UNERWARTETEM RAUM GEBEN
Als Vorlage verwendet die Künstlerin Menschen, die sie in ihr Atelier dazu einlädt, sich frei und ohne Anweisungen im Raum zu bewegen. Währenddessen macht Korherr bis zu 400 Fotos, von denen sie später am Computer manche so lange auf eine Art und Weise überlagert, bis ein Motiv gefunden ist, bis die Fotos jene Geschichte erzählen, die die Künstlerin zeigen möchte. „Dieser Prozess dauert nicht länger als ein paar Stunden. Bewusst, denn man könnte Wochen damit verbringen, weil man denkt, es könnte ein immer noch besseres Bild geben.“ Ist die Vorlage gefunden, werden die großdimensionierten Leinwände gefertigt und grundiert, bevor Anja Korherr anhand eines Rastersystems als erste Ölschicht ihre Vorzeichnung anfertigt, der pro Bild in wochenlanger Arbeit viele weitere Schichten folgen. „Die ersten zwei Drittel der Zeit gehe ich akribisch und genau vor. Das letzte Drittel ist aber von Kreativität und Herumprobieren gekennzeichnet – das, was mir am meisten Spaß macht und wohl auch das Unerwartete in meinen Bildern ausmacht.“ Mittlerweile arbeitet Korherr an mehreren Bildern gleichzeitig. „Auch, da in den nächsten Monaten einige Einzel- und Gruppenausstellungen geplant sind“, verrät die Künstlerin, die von der Grazer Galerie Schnitzler und Lindsberger vertreten wird. Auf die Frage, wie die junge Künstlerin Studium, Teilzeitjobs und Kunstproduktion unter einen Hut bringt, schmunzelt Anja Korherr und verrät, fast schon auf ihre surrealistischen Werke anspielend: „Es ist alles eine Frage der Zeiteinteilung. Und, ob man sich für alles bewusst Zeit nimmt und sich den Raum dafür einräumt.“

Anja Korherr, Jahrgang 1998
Lebt und arbeitet in Graz und Linz
HTBLVA Ortweinschule, Graz, („Bildhauerei sowie Meisterklasse Malerei“) 
Seit 2020 Studium „Experimentelle Kunst“ bei Anna Jermolaewa, Kunstuniversität Linz

Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl)
2021 „Invisible“, Flat 1, Wien
2022 „Zwischenräume“, Schaumbad, Graz 
2022 „Ich kann nicht mehr 2“, Fluc, Wien
2023 „shifting the stage“, Galerie im Pfarrzentrum, Wies 
2023 „N _ ONSITE“, Festival der Regionen, Österreich/Tschechien

Fotos: Oliver Wolf

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