Frauen, Forschung und die Frage nach der Zukunft: Andrea Höglinger, Vizerektorin für Forschung an der TU Graz, und die beiden Top-Forscherinnen Sonja Wogrin, Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation, und Merit Bodner, Assistenzprofessorin am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik, im SPIRIT-Interview.
Frauen und Technik – warum passt das zusammen?
HÖGLINGER: Das können wir hier an dieser Runde sehen! Wir haben an der TU Graz viele tolle Forsche-rinnen in unterschiedlichen Bereichen. Aber ja – es ist immer noch viel zu tun. Wir arbeiten intensiv daran, den Anteil weiblicher Studierender – derzeit bei rund 28 Prozent – weiter zu erhöhen. Frauen und MINT-Fächer – das ist natürlich ein gesamtgesellschaftliches Thema, aber wir tun alles, um noch mehr junge Frauen von der Attraktivität eines technischen Studiums zu überzeugen. Die großen Fragen der Zeit helfen uns dabei.
Inwiefern?
HÖGLINGER: Eine technische Universität wie die TU Graz ist eine Schmiede für Lösungen, die die Welt dringend braucht, um die großen Transformationen, allen voran die Klimakrise, zu bewältigen. Bei uns lernen jungen Menschen das Rüstzeug, das sie benötigen, um ihren Beitrag für die großen Herausforderungen zu leisten – ob im Bereich Green Tech, neuer Antriebssysteme für die Mobilität, ressourcenschonender Produktionsverfahren oder neuer Baustoffe für die Architektur. Technikerinnen und Techniker haben nicht nur die Fähigkeit, Neues zu entwickeln, sondern sie arbeiten an zentralen gesellschaftlich hochrelevanten Themen und damit hoffen wir auch zukünftig noch attraktiver zu sein.
WOGRIN: Wie ich bereits einmal in einer ORF-Sendung gesagt habe: Am Wochenende dürfen meine Studierenden gerne fürs Klima demonstrieren, aber am Montag möchte ich sie im Hörsaal sehen. (lacht) Auch sonst sage ich jungen Aktivistinnen und Aktivisten: Studiert’s Elektrotechnik oder sonst etwas Technisches – dann kann jeder von euch etwas ganz Pragmatisches gegen den Klimawandel tun.
Etwas zu bewegen – war das auch für Sie eine Motivation bei der Studienwahl?
WOGRIN: Auf jeden Fall. Ich habe Technische Mathematik studiert, um mir möglichst viele Türen offen zu halten. Unter Elektrotechnik konnte ich mir während der Schulzeit nicht viel vorstellen, außer dem Klischeebild eines Mannes mit Helm und einem Kabel in der Hand. Erst später während meines Master- und Doktoratsstudiums in den USA und in Spanien kam ich mit dem Thema Energiesysteme in Berührung – und da ist der Funke sofort übergesprungen. Ich habe gesehen, dass man hier mit Mitteln der Mathematik bzw. mittels Simulationen einen wichtigen Beitrag für die Energiewende leisten kann. Das motiviert mich seither jeden Tag und ist mein Forschungsalltag. Im Zentrum steht die Frage, wie wir – möglichst effizient – digitale Modelle unserer Energiesysteme generieren, um unsere Energieinfrastruktur von morgen so klimaneutral und so sicher wie möglich gestalten zu können.
BODNER: Bei mir war es ähnlich. Ich habe mich zu Beginn auch für ein breites Feld, Technische Chemie, entschieden und mich erst später auf das heutige Gebiet spezialisiert: elektrochemische Verfahrenstechnik rund um Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien. Ein Gebiet, in dem noch viele Forschungsfragen offen sind und in dem wir Forschende einen echten Impact auf wesentliche Zukunftsfragen – vor allem zu Mobilität und Energiespeichersystemen – haben. Damit können wir buchstäblich etwas bewegen! Konkret beschäftigen wir uns beispielsweise mit der Optimierung der Effi-zienz von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, mit der Steigerung der Langlebigkeit sowie dem Einsatz neuer zukunftsweisender Materialien.
WOGRIN: Für mich ist klar: Die Kreativität des 21. Jahrhunderts liegt in der Technik. Menschen haben nirgends so viel Freiheit wie in der Forschung und nirgendwo können sie so kreativ sein. Daher bin ich auch überzeugt: Wir werden die Energiewende schaffen. Es werden viele Investitionen nötig sein und es wird anstrengend, aber wir werden das hinbekommen.
BODNER: Das mit der Freiheit kann ich nur unterschreiben. Diese Freiheit in der Grundlagenforschung ist essenziell, gerade für uns in Europa. Auch wenn wir viele Forschungsprojekte mit der Industrie haben, breche ich jederzeit eine Lanze für die Grundlagenforschung. Ohne Inputs aus den Grundlagen keine Innovationen in der Zukunft. Wir müssen in der Forschung mit unseren Fragestellungen oft 20, 30 Jahre voraus sein. In die Tiefe gehen zu können, entspricht auch meiner Forscherseele.
HÖGLINGER: Ich betone immer wieder: Grundlagenforschung ist das Backbone für die Angewandte.
Andrea Höglinger Seit Oktober 2023 Vizerektorin für Forschung an der TU Graz, davor viele Jahre in führenden Positionen der FFG tätig Sonja Wogrin Studium der Technischen Mathematik an der TU Graz, Studien- und Forschungsstationen in England, USA (MIT) und Spanien (Instituto de Investigación Tecnológica, Madrid), seit 2021 Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation (erst die zweite Elektrotechnik-Professorin der TU Graz), seit 2023 Sprecherin des Research Centers Energetic der TU Graz Merit Bodner Studium der Technischen Chemie an der TU Graz, seit 2021 Assistenzprofessorin am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik, davor vier Jahre für die Industrie in Unternehmen in Dänemark und den Niederlanden tätig, Gewinnerin des „Hydrogen Europe Research Young Scientist Award 2022“
Spätere MINT-Karrieren entscheiden sich oft schon im Kindesalter. Wie war das bei Ihnen?
BODNER: Tatsächlich spielte ich schon als Kind lieber mit Autos als mit Puppen. (lacht) Ich habe – außerhalb meines Elternhauses – aber immer wieder den Satz gehört: „Das ist nichts für dich, weil du ein Mädchen bist.“ Daher sind weibliche Role Models auch so wichtig, um junge Frauen oder Mädchen zu bestärken, wenn sie technische bzw. naturwissenschaftliche Neigungen haben.
WOGRIN: Bei mir war es zunächst klischeehaft – ich war ein totales Barbie-Girl und hatte unzählige Barbies zuhause. Gleichzeitig war mein Vater Bauingenieur und seine Liebe zum Handwerk und zum Planen hat mich geprägt. Auch meine Auslandsaufenthalte später waren sehr lehrreich. In den USA habe ich die extrem hohe Wertschätzung für Forschende am MIT (Massachusetts Institute of Technology) hautnah erfahren – das würde ich mir auch hierzulande wünschen. Und während meines Aufenthalts an einem Forschungsinstitut in Madrid habe ich erlebt, dass man als Frau in der Technik auch Frau sein darf – das heißt adrett gestylt und modebewusst – und trotzdem volle Anerkennung als Spezialistin in einem technischen Fach bekommt. Da ist uns Spanien ein bisschen voraus.
HÖGLINGER: Vielfalt zulassen und fördern – genau das wollen wir! Wir sind auch stolz auf die Vielzahl an Frauenförderungsmaßnahmen und Karriereprogrammen an der TU Graz, wie z.B. „Leading Women“, in dem Forscherinnen auf zukünftige Führungspositionen vorbereitet werden. Ich habe seit Beginn meiner Tätigkeit an der TU Graz den Eindruck, dass hier ein großes Commitment besteht, junge Kolleginnen zu unterstützen. Natürlich auch was die Vereinbarkeit mit der Familie betrifft. So bietet die TU Graz mit nanoversity etwa auch eine eigene Kinderbetreuungseinrichtung an.
TU Graz-Programme für Frauen und Nachwuchs Die Universität setzt eine Vielzahl an Maßnahmen, um Kinder und Jugendliche, vor allem Mädchen, anzusprechen sowie Frauen in der Wissenschaft zu fördern. CoMaed (Computerkurse für Mädchen und junge Frauen), FEM IN TECH Technikerinnen Talk und Infotag, „Girls! TECH UP Graz“, TU Graz Super Science Space - MINKT Labor, Kinderuni Graz, Mentoring für SchülerInnen, Berufspraktische Tage Leading Women, Laufbahnstellen für Frauen, Strategische Karriereplanung für Dissertantinnen, Karriereprogramm für Wissenschafterinnen, WomenUniverse www.tugraz.at