Spirit of Styria

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ: Chancen und Risiken für den Standort Steiermark

Fluch oder Segen? Teufelswerkzeug oder Innovationsturbo? Wie kann der Standort Steiermark die Chancen von Künstlicher Intelligenz (KI) nutzen? Und wie gehen Unternehmen und das Bildungssystem mit den neuen Herausforderungen um? Fünf ExpertInnen diskutieren darüber am Roundtable in der Redaktion von „SPIRIT of Styria“.
Angeregte Diskussion über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz in den Räumlichkeiten
von „SPIRIT of Styria“ mit Herausgeber Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

ChatGPT ist in aller Munde bzw. Finger. Wofür nutzen Sie den Chatbot?
BISCHOF: Ich setze mich natürlich damit auseinander – schon aus beruflichen Gründen, um die Entwicklungen einschätzen zu können. Ich habe ChatGPT auch schon das eine oder andere Mal für ein Brainstorming genutzt, immer wieder verwende ich auch DALL-E, ein Bildgenerierungsprogramm auf KI-Basis für die Erstellung von Titelbildern für Vorträge. Sehr nützlich sind auch Co-Piloten beim Programmieren – damit bin ich um den Faktor fünf schneller, meine Dissertanten immerhin um den Faktor zwei.

TRAUSSNIGG: Privat bin ich durch meine Söhne darauf aufmerksam geworden, die es vor mir nutzten. Einmal etwa für das Verfassen eines Beschwerde-Emails in englischer Sprache nach einer Online-Bestellung, das mir mein Sohn binnen Sekunden vorlegte – zu meiner Verwunderung in erstaunlich guter Qualität. Allerdings lieferte der Chatbot im darauffolgenden Schriftverkehr, wo es mehr ins Detail ging, nicht mehr so gute Ergebnisse. Beruflich findet ChatGPT vorwiegend im Kontext der Lehre Verwendung.

RATHEISER: Für uns Praktiker ist das Thema nichts wirklich Neues – wir beschäftigen uns seit Jahren mit GPT-Modellen. Es ist unsere tagtägliche Arbeit zu schauen, wie sich OpenAI entwickelt und was GPT 3.5 bzw. GPT 4 leisten. Und wie können wir diese für unsere Kunden adaptieren und für Unternehmen vertrauenswürdig machen? Als GPT 3 im Vorjahr rauskam, war uns gleich bewusst, dass wir eine datenschutzkonforme und vertrauenswürdige Alternative für unsere Kunden brauchen. Daher haben wir angefangen, eine eigene GPT-Anwendung zu entwickeln. Seit zwei Monaten können wir nun eine effiziente und auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens zugeschnittene GPT-Anwendung anbieten.

STEINWIDDER: Ich benutze ChatGTP ebenso. An den Schulen wurde es natürlich rasch ein großes Thema. Für uns stellt sich seither die Frage, was es für den Unterricht verändert und wie wir es positiv einsetzen können. Daran arbeiten wir ganz intensiv auf allen Ebenen – ob Ministerium, Bildungsdirektion bzw. auf Ebene der Schulen. Klar ist, KI ist jetzt Teil unseres Alltags – so wie früher Wikipedia und Google plötzlich da waren und wir den Umgang damit lernen mussten. Entsprechend werden wir auch in die Lehrerfortbildung investieren müssen. Wir werden lernen, wie wir das gut im Unterricht implementieren können und wie Lehrpersonen Kapitän auf dem Schiff bleiben.

WOLF-BRENNER: Ich nutze ChatGPT auf mehrfache Weise. Es hilft mir etwa, die Struktur für einen Text zu generieren, sodass ich nie am leeren Blatt Papier anfangen muss – etwa für eine Präsentation. Dabei lasse ich gerne Themenvorschläge generieren – den Text schreibe ich dann aber selbst. Zudem stelle ich meinen fertigen Text in den Chatbot und erkläre ihm meine Intention – mit der Frage, ob es Schwachstellen in meiner Argumentation gibt. Quasi: Habe ich was übersehen? Meist bekomme ich dann auch gute Vorschläge. Und ein dritter Punkt: Mich interessiert bei KI vor allem auch der ethische Aspekt. Daher prüfe ich das System in diese Richtung und versuche die Sicherheitsmechanismen auszutricksen, um die Risiken der Technologie offenzulegen. Denn laut Policy dürfte ChatGPT einem eigentlich nicht sagen, wie man z.B. den Hund vom Nachbarn loswerden kann oder wie man am besten in eine Bank einbricht. Mit geschickten Fragestellungen bzw. gezielten Prompts kann man das System aber dazu bringen, genau das zu tun. Dabei merke ich, dass das System immer weiter dazulernt. Die Maschen werden diesbezüglich enger.

DIE TEILNEHMERINNEN

Horst Bischof
designierter TU Rektor,
Vizerektor für Forschung,
stv. Leiter Institut für
Maschinelles Sehen und
Darstellen

Patrick Ratheiser
Gründer und CEO des
KI-Start-ups Leftshift One
(25 Mitarbeiter)

Ulrike Steinwidder
Schulqualitätsmanage-
ment Bildungsregion Obersteiermark West, Bildungsdirektion
Steiermark

Udo Traussnigg
Departmentleiter Automatisierungstechnik
FH CAMPUS 02

Christof Wolf-Brenner
Entwicklung von KI-Anwendungsszenarien-
und Datenstrategien
am Grazer Know-Center

Durch ChatGPT ist KI in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wird emotional diskutiert. Ist KI Fluch oder Segen?
BISCHOF: Weder noch. ChatGPT war für viele Menschen ein Weckruf. KI macht seit Jahren enorme Fortschritte in vielen Bereichen. Der Grund, warum es jetzt solche Wellen schlägt, liegt sicher am Medium Sprache – der Zugang, der uns Menschen am nächsten liegt. Sprache ist etwas Komplexes und wenn etwas sprechen kann, sind wir geneigt, immer auch etwas Menschliches hineinzuinterpretieren. Darüber hinaus hatte meine Deutschlehrerin in der Volksschule schon Recht, wenn sie meinte: Je mehr du liest, desto besser wirst du einmal schreiben können! Denn ChatGPT macht nichts anderes. Es liest – vereinfacht gesagt – das gesamte Internet und kann sich folglich sehr gut ausdrücken. Wenn man allerdings allein auf die Algorithmen schaut und die Transformer-Modelle dahinter, dann sieht man, dass das keine Rocket Science ist. Was das Programm zum Leben bringt, ist die schier unendliche Menge an Daten. Daher würde ich gerne ein bisschen die Kirche im Dorf lassen.

RATHEISER: Wir reden immer noch von statistischen Modellen. Das System ist nicht per se smart, sondern nur extrem gut darin zu imitieren.

BISCHOF: Mein Lieblingsbeispiel ist immer: Man nehme zehn beliebige große Zahlen, fünf- oder sechs-stellig, und fordere den Chatbot auf, diese Zahlen zu sortieren. Es wird es im Normalfall nicht schaffen. Warum? Weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass es diese Abfolge jemals irgendwo gesehen hat – während ein Mensch das schnell einordnen kann. Aber bittet man ChatGPT darum, ein Programm zu schreiben, das Zahlen sortiert, wird es den Algorithmus im Nu liefern. Darin sieht man die inhärenten Limitierungen des Systems – ChatGPT ist ein perfekter Imitator.

TRAUSSNIGG: Ich sehe das pragmatisch. KI ist ein Werkzeug, das nun in der Allgemeinheit angekommen ist, aber in anderer Form schon lange genutzt wird. Das Wichtige für mich: Bei jedem für die Allgemeinheit neuen Werkzeug müssen wir erst lernen, wie und wozu das Werkzeug sinnvoll einsetzbar ist. Es entstehen immer ganz schnell Hypes – auch jetzt bei ChatGPT. KI ist keine eierlegende Wollmilchsau, wird aber künftig sicher breit eingesetzt werden – mit allen gesellschaftlichen Auswirkungen. Neue Werkzeuge hatten auch in der Vergangenheit stets Folgewirkungen – der Buchdruck hat dazu beigetragen, dass wir uns weniger merken, der Taschenrechner führte dazu, dass wir weniger kopfrechnen und das Navi trägt dazu bei, dass wir den Weg nicht mehr alleine finden – auch ChatGPT wird Seiteneffekte haben. Welche genau, wird man noch sehen. Vielleicht werden die kognitiven Fähigkeiten in manchen Bereichen schlechter werden – das wird die Zukunft weisen. Dennoch wird das neue Werkzeug viele neue Anwendungen möglich machen – daran habe ich keine Zweifel.

RATHEISER: Grundsätzlich begrüßen wir das Interesse an ChatGPT, weil nun für jeden klar wird, was KI bedeuten kann. Das spielt uns in die Hände, um das Thema in die Breite zu bringen. Wir sehen aber auch die schier unendliche Datenmenge, die für die neuen Transformer-Modelle verarbeitet werden. Daraus ergeben sich enorme Herausforderungen, die selten diskutiert werden – etwa hinsichtlich des Energiebedarfs. Es ist unglaublich, was Open AI und ChatGPT am Tag an Rechenressourcen verbrauchen. Ein Riesenthema. Zudem muss uns bewusst sein: Jede Information, die wir in das System eingeben, wird gespeichert und als Trainingsdatensatz verwendet. Das gilt auch für möglicherweise geheime Firmendaten, die durch Mitarbeiter in ChatGPT eingegeben werden. ChatGPT mangelt es an Datenschutz bzw. Transparenz. Wir wissen überhaupt nicht, welche Daten im Endeffekt verwendet werden – es gibt keine Quellenangabe. Zudem halluzinieren die Modelle – das ist aus technologischer Perspektive nachvollziehbar. Wenn es allerdings dazu kommt, muss es transparent sein und gekennzeichnet werden – wie wir es auch in unserem Modell tun. In Summe sind die Th emen Vertrauenswürdigkeit, Transparenz und Energieeffizienz sicher noch ungelöst. Auf der anderen Seite werden wir KI künftig auf vielfache Weise einsetzen – für vielerlei Use Cases, die uns sehr hilfreich sein werden.

BISCHOF: Zum Thema „halluzinierendes ChatGPT“: Offensichtlich dreht das Programm alles immer eher ins Positive. So habe ich laut ChatGPT auch schon das Goldene Ehrenkreuz der Steiermark bekommen. (lacht)

Bei Ihnen sind alle Quellen bekannt?
RATHEISER: Ja, wir sind spezialisiert auf maßgeschneiderte KI-Lösungen für Unternehmen. In unseren Modellen greifen wir auf firmeninterne Daten zurück, auf Firmen-PDFs, Wordfiles, Wikis etc. und können damit Wissen heben. Wenn Mitarbeiter Fragen haben, greifen wir auf Originalquellen zu und formulieren daraus die Antwort. Wir geben immer die Quelle an, im Unternehmenskontext ist das natürlich etwas anders – dafür können wir nicht so gut schlechte Gedichte schreiben wie ChatGPT. (lacht) Bei uns ist alles smarter und effizienter – in der Folge braucht unser Modell nur einen Bruchteil der Energie. Die Ergebnisse selbst sind hingegen vergleichbar mit den großen Modellen. Wir verwenden Generative Pretrained Transformer, die für generative KI genutzt werden. Die KI besteht bei uns aus zehn unterschiedlichen Modellen, die zusammenarbeiten. Wir haben kein Riesenmodell, das wir mit hunderten Milliarden Parametern trainieren. Es geht mit kleinen, ressourcensparenden Modellen genauso, wie wir beweisen.

KI in der Schule – Fluch oder Segen?
STEINWIDDER: Wir haben uns in Österreich dazu entschieden, es nicht als Fluch zu sehen, sondern uns bewusst der Herausforderung zu stellen. Wir tun alles, um das Beste daraus für die Qualität der Bildung zu machen. Das Leben verändert sich – ChatGPT wird Einfluss haben, so wie einst schon der Taschenrechner Einfluss hatte. Dadurch wird es Transformationsprozesse geben – im Lernen wie im Lehren. Diese Entwicklungen stehen heute erst am Anfang. Wir wollen ihnen offen und aktiv begegnen.

Was wird sich konkret im Unterricht ändern?
STEINWIDDER: Ein Sprachenlehrer in der Oberstufe wird wohl nicht mehr nur Hausübungen zum Verfassen eines einfachen Aufsatzes geben. Da kann man sich leicht ausrechnen, wer diesen Aufsatz in der Regel schreiben würde. Daher müssen wir verstärkt neue didaktische Konzepte einsetzen, etwa „flipped classroom“ – nach der Devise: Schaut euch ein paar Textsorten zuhause an und dann schreiben wir gemeinsam in der Schule Texte oder arbeiten wir gemeinsam an ihnen! Klar, die Schülerinnen und Schüler benutzen die Programme längst und der Großteil der Lehrerinnen und Lehrer weiß das auch und verwendet sie auch selbst – etwa für eigene Unterrichtsvorbereitungen. Mit Hilfe von ChatGPT können ja interessante Aufgabenstellungen kreiert werden. Derzeit haben wir das Glück, dass gerade ein Generationswechsel stattfindet und wir so viele junge Lehrer ins System hereinbekommen. Das spielt uns in die Hände.

BISCHOF: Ähnlich halten wir es auf der TU Graz. Wir sagen den Studierenden nicht mehr: Schreibe eine Seminararbeit über Thema XY, sondern schreibe mit ChatGPT eine Seminararbeit zum Thema XY und finde die Fehler und Schwachstellen und optimiere den Output! Das ist eine ähnliche, aber doch andere Aufgabenstellung, die die jungen Leute auf die Zukunft vorbereitet. Auch beim Programmieren. Co-Piloten zu verbieten, wäre sinnlos.

STEINWIDDER: Unser Fokus liegt vermehrt darauf, Texte zu analysieren und zu reflektieren und zu schauen, woher die Quellen stammen. Darauf müssen wir im Unterricht hinarbeiten. Zudem werden die mündlichen Kompetenzen immer wichtiger. Auch der Umgang mit den VWAs ändert sich. Diese sollten ja schon heute einen Praxisbezug aufweisen. Die reinen Literaturarbeiten haben immer weniger Sinn. Die aktuelle Entwicklung ist ein Anreiz, den Praxisanteil zu erhöhen – zudem sind es ja begleitete Projekte. Die Lehrer begleiten das Projekt über Monate, die Schüler lernen Quellen zu suchen und einzuordnen und Literatur zu bewerten oder führen selbst kleine Experimente durch.

WOLF-BRENNER: Fluch oder Segen? Das kommt immer drauf an, was wir Menschen daraus machen. Man kann dieselbe Frage ja auch für die Atomkraft oder für ein Taschenmesser stellen. Klar ist, KI hat große Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Das zeigt schon das ungeheure Tempo, mit dem wir diese Technologie in die Gesellschaft integriert haben. Innerhalb von fünf Tagen war es eine Million User bei ChatGPT. Diese Beschleunigung ist sicher neu. Ein Punkt, den wir aus heimischer Sicht beachten müssen: Wir sehen, dass die großen Modelle wie ChatGPT allesamt bei großen Tech-Firmen gebaut werden, die starke Infrastrukturpartner haben oder selbst im Infrastrukturgeschäft sind, ob Microsoft, Meta/Facebook, Nvidia oder Google – nur diese haben die notwendi ge Rechenressourcen, um die riesigen Datenmengen zu speichern und zu verarbeiten. Daher müssen wir uns hierzulande gezielt auf kleinere, spezialisiertere KI-Modelle fokussieren. In der Steiermark können wir nicht das Hochsee-Kreuzfahrtschiffbauen, aber dafür das wendige Schnellboot der KI.

TRAUSSNIGG: Spannend ist, dass uns der Einsatz von KI in der Lehre in mehreren Dimensionen fordert: Was werden wir inhaltlich künftig lehren? Welche Lernziele sollen wir dafür definieren? Wie sollen wir die Inhalte lehren? Und wie sollen wir die Erreichung der Lernziele überprüfen?

Haben wir in der Steiermark bzw. in Europa überhaupt die Möglichkeit bei dieser Schlüsseltechnologie aktiv mitzuwirken?
BISCHOF: Wir müssen uns gut überlegen, wo und wie wir uns aufstellen. Natürlich können wir mit den Großen dieser Welt nicht unmittelbar konkurrieren. Das schafft auch kein Stanford oder MIT, das können nur die großen Konzerne, die die Ressourcen und Daten haben. Diese konzentrieren sich ausschließlich auf den Massenmarkt, aber daneben gibt es viele Nischen. Gerade rund ums Thema Produktion, wo Europa nach wie vor extrem stark ist. Da sind wir viel besser als die großen Konzerne, die es nicht schaffen, ihre Technologien in die Fertigung zu bringen – in die Maschinensteuerung und -programmierung hinein. Wir müssen diese Nischen bedienen und die jungen Leute auch ermutigen, diese Felder zu besetzen. Die Brainpower ist da.

TRAUSSNIGG: Das kann ich nur unterstreichen. Die Konzentration auf Nischenmärkte steirischer Firmen sehen wir ja auch immer wieder bei unseren Bachelor- und Masterarbeiten im Studium. 95 % der Studierenden bringen bei uns Themen aus ihren Unternehmen ein – unglaublich spannend, wie viele Weltmarktführer wir hier in der Steiermark haben, in unterschiedlichen Nischen. Und das meiste interessiert kein Google, Microsoft und Co. Was den unmittelbaren Einsatz von KI in Unternehmen betrifft, sehe ich das Bild differenziert. Es gibt sehr spannende Beispiele. Derzeit haben wir etwa eine Masterarbeit über eine KI, die es schafft, die Kernaspekte aus einer Anfrage herauszulesen – um dann auf Basis vorhandener Lösungen im Unternehmen zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, überhaupt ein Angebot zu legen. Bei einer anderen Masterarbeit ging es darum, eine KI-Lösung zu entwickeln, die die optimale Preisfindung für gebrauchte Produkte unterstützt. Wir beobachten aber auf der anderen Seite auch, dass viele Firmen noch nicht bereit sind für den Einsatz von KI in der Produktion. Denn eine Implementierung in ein Live-System, wo eine KI nicht nur einen Vorschlag macht wie bei ChatGPT, sondern wirklich eine Produktion steuert oder beeinflusst, hat eine andere Qualität – da sehen wir, dass die Firmen noch zurückhaltend sind. Sogar, wenn damit hohe Energieeinsparungen möglich wären. Der Grundsatz: Never change a running system! Dennoch sehe ich es in Summe positiv: Nutzen wir die Zeit, um unsere Kompetenzen zu bündeln und zu schauen, wo wir mit welchen Technologien in der Zukunft einen Vorsprung herausholen können!

WOLF-BRENNER: Die meisten Unternehmen, die wegen einer KI-Lösung zu uns kommen, haben sich bereits eine Idee in den Kopf gesetzt und wollen diese sofort umsetzen. Dabei übersehen sie, dass man bei KI-Themen weitreichende Veränderungen im Unternehmen auslöst. Daher sollte man sich eher ein Programm überlegen, wie man über einen längeren Zeitraum und in mehreren Schritten den konsequenten Einsatz dieser Technologie vorantreibt. Es funktioniert nicht nach dem Motto: Einmal schießen und fertig. Es braucht die Infrastruktur, die Menschen und die Software, damit die Daten zur richtigen Zeit an den richtigen Ort fließen. Und es muss von der ganzen Organisation mitgetragen werden.

BISCHOF: Aber wir dürfen auch nicht nur beklagen, dass die Unternehmen alles immer kurzfristig und schnell wollen. Das sage ich meinen Leuten am Institut auch immer wieder. Da müssen wir uns auch selbst ein bisschen an der Nase nehmen und bereit sein, Unternehmen Lösungen zu bieten, die auch kurzfristig einsetzbar sind. Daher gefallen mir auch die Systeme von Leftshift One so gut, weil sie ein Environment mitbringen, mit der ein Unternehmen ohne allzu großen Aufwand loslegen kann.

RATHEISER: Generell stimmt es, was vorhin gesagt wurde: Unternehmen sind oft sehr träge – es fehlt der Mut! „Wir warten einmal ab“ ist eine typisch österreichische Haltung. Dabei können wir tatsächlich mit schnellen Lösungen reingehen, können innerhalb weniger Wochen mit unserer Plattform erste Lösungen anbieten. Es gibt in vielen Unternehmen unzählige Dokumentationen von Maschinen und Produktionsanlagen – da steckt sehr viel Wissen drinnen, oft auch geheimes Wissen. Das gilt es zu heben, weil Mitarbeiter mit Spezialwissen das Unternehmen ja irgendwann verlassen. Mit GPT-Modellen kann man dieses spezifische Wissen allen Mitarbeitern des Betriebs zugänglich machen – etwa auch nach Pensionierungen.

Welche Beispiele für KI-Lösungen gibt es in der Praxis, die einen Wettbewerbsvorteil bringen?
RATHEISER: Leftshift One hat – als eine der ersten weltweit – eine validierte Lösung für die Qualitätssicherung im Pharmabereich im Einsatz. Dadurch lassen sich die Prozesse enorm beschleunigen, denn der Bottleneck ist meist nicht die Produktion, sondern die Qualitätssicherung. Gerade im Pharmabereich müssen enorm viele Dokumente erstellt werden, es muss alles geprüft und dokumentiert werden. Unsere Systeme unterstützen den Prozess, damit die Medikamente schneller in den Markt gebracht werden können. Ein anderer Use Case ist der Getriebezusammenbau in einem Industriebetrieb. Dabei geht es um die Qualitätssicherung an dreißig Stationen, wo Parameter gemessen und analysiert werden. Damit kann man nicht nur voraussagen, ob und wann etwas ausfällt – sondern auch warum. Da ist der Vorteil der erklärenden KI. Wenn ich den Grund für einen Ausfall kenne, kann ich reagieren und den Prozess verbessern.

WOLF-BRENNER: Die Anwendungsbeispiele aus dem Know-Center umfassen ähnliche Bereiche – vielfach in der Produktion, ob bei Lackierereien oder im Spritzguss. Meist steht Qualitätssicherung im Zentrum. Etwa im Bereich von Galvanisierungbädern, wo geprüft wird, wann die Anode so verschmutzt ist, dass man sie austauschen muss, damit das Verchromen weiterhin qualitativ hochwertig funktioniert. Hier sind wir im Bereich Predictive Maintenance. Dabei gibt es in jedem Produktionszweig Anwendungen.

TRAUSSNIGG: Historisch kommt die Anwendung der KI auch aus dem Bereich der Qualitätssicherung, weil man dadurch den Prozess zwar überprüft, aber nicht direkt in diesen eingreift. Ein anderes Thema ist der Bereich Energieoptimierungen. Dazu haben wir auch ein aktuelles Forschungsprojekt an der FH CAMPUS 02 laufen. Dabei geht es um das optimale Energie- und Lastflussmanagement, ein Thema, das meiner Ansicht nach zu wenig Aufmerksamkeit genießt, aber für die Energiewende entscheidend ist. Nur wenn wir das Nutzerverhalten kennen, können wir auch die Lasten verschieben – KI kann dabei helfen.

BISCHOF: Ich glaube, es wird künftig noch viel mehr Anwendungsfälle in der Produktion geben. Möglich gemacht durch diese fantastischen Algorithmen, die erlauben, hochdimensionale Daten gut zu analysieren und dort Muster zu entdecken, die ein Mensch nicht entdecken könnte. Ich glaube auch nicht daran, dass KI Menschen massenhaft Jobs wegnehmen wird. Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Daher verwende ich immer gerne den Begriff 3M – Mensch mit Maschine. Das Miteinander ist eine unschlagbare Kombination.

RATHEISER: Wir haben den Gedanken sogar im Logo und nennen es symbiotische KI, denn wir leben das positive Zusammenwirken von Mensch und Maschine.

Wie sehen Sie den Artificial Intelligence (AI) Act der EU?
RATHEISER: Der AI Act der EU ein sehr wichtiges Thema. Ich sehe darin eine große Chance. Denn wir brauchen vertrauenswürdige Lösungen. Diese Vertrauenswürdigkeit ist auch ein Thema, mit dem sich Europa positionieren kann. Und es ist ein Thema, in dem wir federführend tätig sind. Wir sind ready für den AI Act.

BISCHOF: Die Kunst beim AI Act wird sein, ihn auch vernünftig zu implementieren, ohne dass uns in Europa dasselbe wie bei der DSGVO noch einmal passiert. Denn bei deren Umsetzung wurde das Kind teilweise mit dem Bade ausgeschüttet. Daher müssen wir aufpassen, dass uns das bei beim AI Act nicht wieder passiert. Zumindest der Ansatz ist gut. Die Frage ist immer, wie es von den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird – und da muss Österreich mit seiner Vorliebe für Golden Plating auf der Hut sein.

RATHEISER: Hier müssen wir wirklich aufpassen. Wir haben in Österreich rund 200 KI-Unternehmen mit permanent neuen Versionen ihrer KI-Modelle. Wenn diese künftig alle von einer Behörde geprüft werden müssen, bin ich schon sehr gespannt, wie diese Behörde die Modelle überprüfen wird. Mit Papierformularen wird das nicht funktionieren. Hier bin ich mir noch nicht sicher, ob das in die richtige Richtung geht.

Chat GPT-Gründer Sam Altman und KI-Pionier Geoffrey Hinton warnen vor noch unabsehbaren Auswirkungen von KI. Zurecht?
BISCHOF: Das sehe ich differenziert, ebenso wie im Übrigen auch Geoffrey Hinton. Er hat ja nicht gesagt, dass KI per se schlecht und gefährlich sei, sondern dass dieses Werkzeug in den Händen von bösen Menschen ein zerstörerisches Potenzial habe. Und das sehen wir ja auch alle – Stichwort Deep Fakes. Daher müssen wir sehr darauf achten, diese Technologie nicht komplett frei laufen zu lassen, ohne irgendwelche Einschränkungen und Regularien. Denn leider wird es immer Menschen mit bösen Absichten geben.

RATHEISER: Ich habe damals auf der TU gelernt: Technik ist wertfrei. Daher bin ich überzeugt, es ist immer die Frage, wie man eine Technologie benutzt. Ich bin für Regelungen, auch für größtmögliche Transparenz, deswegen halte ich auch den EU AI Act für einen ersten wichtigen Schritt. Es ist eine zentrale Aufgabe, die Ethik im Umgang mit KI zu wahren.

Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich?
STEINWIDDER: Ich wünsche mir, dass wir für unser Schulsystem ausreichend qualifizierte Menschen, vor allem aus der Technik, finden, die gerne an die Schule wollen. Denn natürlich wollen wir, dass unsere Schülerinnen und Schüler von Praktikern lernen – davon haben wir sicher zu wenig – trotz aller Initiativen, die wir bereits setzen. Wir brauchen generell auch mehr Männer als Lehrpersonal im Schulsystem. Es braucht auch mehr Offenheit – es muss ja künftig nicht so sein, dass jemand in den Schulbetrieb geht und dort ewig bleibt. Wenn die Wertschätzung für den Lehrerberuf steigt, wäre uns allen geholfen – gerade auch dem Wirtschaftsstandort.

RATHEISER: Von der Praxis wünschen wir uns mehr Mut von den Unternehmen. Nicht länger zu- und abwarten, sondern die Dinge wirklich angehen. Diesen Mindset vermisse ich ein wenig. Ebenso wünsche ich mir mehr Wertschätzung, für Start-ups und kleine Unternehmen, die schnell und flexibel tolle Lösungen bieten. Es gibt nicht nur die großen Player und die Beratungsgesellschaften, an die man sich wenden kann. Wir haben über 200 AI-Unternehmen in Österreich – diese haben erstklassige Produkte und Lösungen am Markt. Ich möchte auch generell eine Lanze für den Standort brechen. Wir haben in der Steiermark nicht nur erstklassige Forschung, sondern auch Top-Ausbildungsstätten – dadurch haben wir einen hochwertigen Pool an Mitarbeitern. Wir profitieren davon, dass wir tolle Leute haben und nicht ins Ausland gehen müssen. Auch mit der SFG arbeiten wir jetzt eng zusammen – dadurch haben wir derzeit überhaupt keine Veranlassung, uns nach einem Standort außerhalb der Steiermark umzuschauen.

TRAUSSNIGG: Ein positives Erlebnis der Covid-Zeit war für mich, dass wir – Lehrende und Studierende – es geschafft haben, uns gemeinsam weiterzuentwickeln. Und diesen Spirit, diese Offenheit wünsche ich mir auch beim Thema KI für Unternehmen und Hochschulen – dass wir offen aufeinander zugehen und das neue Werkzeug, das uns hier zur Verfügung steht, gemeinsam weiterentwickeln. Als Gründungsmitglied der Plattform Automatisierungstechnik Steiermark führe ich immer gerne unseren Leitspruch „gemeinsam erfolgreich“ ins Treffen – der gilt auch bei der Entwicklung und Umsetzung von KI-Themen. Wir müssen die Unternehmen noch mehr informieren und verstärkt ins Boot holen.

BISCHOF: Ich sehe, wir haben hervorragende Unternehmen im Bereich KI, wir haben den Bedarf aus der Industrie und wir haben exzellente Forschung. Daher würde ich mir ein steirisches KI-Ökosystem wünschen – nach dem Vorbild bekannter Cluster. Damit könnten wir ein Ökosystem schaffen, in dem wir kluge Leute zusammenbringen und in Summe einen Mehrwert generieren. Ich würde das sehr befürworten. Ich sehe in einem neuen KI-Netzwerk großes Potenzial für die Steiermark – damit wären wir wieder einmal Vorreiter. Schließlich hat die Steiermark schon oft bewiesen: Was wir wirklich gut können, ist kooperieren. Warum also nicht auch in so einem wichtigen Zukunftsbereich?

WOLF-BRENNER: Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, den AI Act als Regelwerk auf den Boden der Realität zu bringen. Es muss uns gelingen, die Regulatorien praktisch umzusetzen, damit es seine Wirkung entfaltet und uns vor negativen Folgen der KI schützt, ohne uns Entwickler in der Innovation zu hemmen.

Fotos: Oliver Wolf, ISTOCK (DAVID GYUNG)

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