Spirit of Styria

HR in der Krise? MÖGLICHKEITEN & GRENZEN DER PERSONALSUCHE

Employer Branding und Vier-Tage-Woche oder „Kopfgeld“ und aggressive Abwerbe-Versuche: Was kann und darf Human Relations heute leisten? Was zeichnet professionelles Recruiting aus? Wie weit darf ein Unternehmen bei der Mitarbeitersuche gehen und wo liegen die ethischen und rechtlichen Grenzen? Unternehmensverantwortliche, PersonalberaterInnen und eine Rechtsanwältin bei uns am Roundtable.
SPIRIT-Talk über das Thema Recruiting in den Räumlichkeiten von „SPIRIT of Styria“
mit Herausgeber Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Herr Harrer, als Firmenchef und WKO-Vertreter: Wie nehmen Sie das Ringen um Fachkräfte in der Praxis wahr?
HARRER: Ich sehe, dass wir uns am Scheideweg befinden. Auf der einen Seite wird händeringend um Personal gekämpft, da entwickelt sich ein regelrechter Kannibalismus, und gleichzeitig laufen wir durch die Konjunkturentwicklung im Bereich Bau und Baunebengewerbe Gefahr, dass wir Fachkräfte in den nächsten Monaten nicht mehr auslasten können und diese in andere Branchen abwandern. Mir geht es immer darum, eine gewisse Ethik und Kultur auch im Wettbewerb zu wahren, gerade auch beim Recruiting. Für mich bedeutet gutes Recruiting, dass sich Arbeitgeber bestmöglich am Markt präsentieren und um Mitarbeiter werben. Allerdings kommt es derzeit immer öfter zu Extremen, die ich verwerflich finde. Ich höre immer wieder, dass Headhunter Beschäftigte im Unternehmen ganz bewusst unter Vorwänden anrufen, um ihnen einen Job schmackhaft zu machen. Das sind Methoden, die ich ablehne. Das ist nicht nur eine ethische Frage, dieses Vorgehen fördert auch das Jobhopping und fordert uns Unternehmer betriebswirtschaftlich heraus, weil das Personal immer teurer wird, aber nicht unbedingt besser.

Wo verläuft die rechtliche Grenze zwischen freiem Wettbewerb und unlauteren Methoden?
HÖDLMAYR – TRAXLER: Das Gesetz besagt, dass das Abwerben von Arbeitnehmern grundsätzlich zulässig und Teil des freien Wettbewerbs ist. Es sei denn, es werden verwerfliche, das heißt sittenwidrige Mittel eingesetzt oder verwerfliche Ziele verfolgt, dann liegt ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht nach dem UWG vor. Das Problem in der Praxis ist, dass die Grenzen fließend sind und nicht immer klar ist, ob eine Abwerbehandlung tatsächlich sittenwidrig war. Ganz abgesehen von der Beweisbarkeit, die in vielen Fällen schwierig ist. Zulässig ist es natürlich, ein besseres Angebot mit einem höheren Gehalt zu unterbreiten, dazu gehört auch die Zusage von Wechselprämien – die lagen früher meist bei ein paar Hundert Euro und können heute etwa im IT-Bereich rasch einmal mehrere tausend Euro ausmachen. Manchmal winken auch noch Zusatzprämien, wenn Kollegen mitgenommen werden. Selbst das ist nicht wettbewerbswidrig – es sei denn, es geschieht in gezielter Schädigungsabsicht.

DIE TEILNEHMERINNEN

Vinzenz Harrer
Vinzenz Harrer GmbH, WKORegionalstellenobmann
Weiz

Christina Hödlmayr-Traxler
Rechtsanwältin und Partnerin (Schwerpunkt Arbeitsrecht) bei LeitnerLaw Rechtsanwälte (Edthaler Leitner-Bommer Schmieder & Partner Rechtsanwälte
GmbH)

Nicole Lamprecht
Geschäftsführerin NILA HR
Consulting

Petra Seewald
CPO (Chief Productivity Officer) bei NTS Netzwerk Telekom Service AG

Robert Zinkanell
Geschäftsführer arcus Personalmanagement GmbH

Was wäre unzulässig?
HÖDLMAYR – TRAXLER: Unzulässig wäre es, beim aktuellen Arbeitgeber unter Vorspiegelung falscher Tatsachen anzurufen, um Kontakt zu einem Mitarbeiter herzustellen. Etwa, wenn Recruiter über LinkedIn den bisherigen Arbeitgeber heraussuchen und sich unter falschem Firmenwortlaut melden – das ist rechtswidrig. Darunter fällt auch aggressives Abwerben, z.B. in Form von mehrmaligen Kontaktversuchen, obwohl ein Wechsel bereits abgelehnt wurde. Ebenfalls rechtswidrig sind unwahre Behauptungen, die das Unternehmen herabwürdigen. Beispielsweise, wenn ein Recruiter eine nahende Insolvenz des Arbeitgebers behauptet, nach dem Motto: „Schau, dass du das sinkende Schiff verlässt.“ Die Phantasie mancher Recruiter ist groß. Wir hatten auch schon Fälle, wo Flyer am Firmengelände verteilt wurden, um Mitarbeiter abzuwerben. Generell hat sich die Rechtssprechung in den vergangenen Jahren aber etwas geändert. Heute ist es rechtlich in Ordnung, wenn der neue Arbeitgeber eine allfällige Konventionalstrafe aufgrund einer Konkurrenzklausel übernimmt. Das war früher nicht zulässig.

ZINKANELL: Eine Zwischenfrage, um es klar zu stellen: Ein kurzer Anruf am Arbeitsplatz im bestehenden Unternehmen ist aber rechtlich zulässig? „Wir hätten da ein Angebot für Sie. Wenn Sie Interesse haben, rufe ich Sie am Abend oder am Wochenende noch einmal an.“ Das ist okay?

HÖDLMAYR – TRAXLER: Ja, das ist absolut okay! Ein Problem wäre es nur dann, wenn dabei Daten verwendet werden, die rechtswidrig erlangt wurden – also wenn Sie etwa einen Mitarbeiter abgeworben haben und dieser gibt Ihnen sämtliche direkten Durchwahlen von allen Mitarbeitenden seines Teams – das wären dann rechtswidrig erlangte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse und ein Verstoß gegen den Datenschutz. Als Konsequenzen sieht das UWG Schadenersatz, Beseitigung und Unterlassung vor, sofern man die Ansprüche gerichtlich geltend machen kann. Wir sehen aber, dass viele Ansprüche vor Gericht scheitern – aufgrund mangelnder Beweisbarkeit. Schwerwiegender sind Fälle, wo ein Mitarbeiter geht und Kunden sowie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse mitnimmt – das kann dann zu umfassenden Schadensersatzsanprüchen führen.

Frage an die Recruiter: Wie ist die optimale Vorgehensweise in einem Recruiting-Prozess?
LAMPRECHT: Dieser beginnt lange vor der Kontaktaufnahme. Für ein „Perfect Match“ müssen die Aufgaben und die Anforderungen der zu besetzenden Stelle genau definiert sein. Erst dann kann ich beginnen, den oder die Richtige zielgerichtet zu suchen. Wo und wie die Suche stattfindet, kommt natürlich sehr darauf an, um welche Position es sich handelt. Es ist ein Unterschied, ob man eine Kellnerin bzw. einen Kellner sucht oder eine bzw. einen IT-TechnikerIn mit Spezialisierung. In sozialen Netzwerken und auf Platt-formen hat jede bzw. jeder die Möglichkeit, ihr bzw. sein Profil so einzustellen, dass man nicht kontaktiert werden kann. Ansonsten kann man davon ausgehen, dass, wenn jemand auf einer öffentlichen Plattform aktiv ist, er grundsätzlich auch angesprochen und kontaktiert werden darf. Aber darüber hinaus habe ich natürlich auch mein eigenes Netzwerk, das ich mir im Laufe der Jahre aufgebaut habe. Das zeichnet einen erfolgreichen Recruiter ja auch aus.

ZINKANELL: Ich oute mich, wir gehören zu den „bösen“ Headhuntern, die Menschen anrufen. (lacht) Natürlich tun wir das strikt innerhalb des rechtlichen Rahmens, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Falsche Tatsachen bei einer Kontaktaufnahme vorzugaukeln, das geht gar nicht. Aber ich sage auch ein klares JA dazu, innerhalb dieses Rahmens professionelles Headhunting zu betreiben – das wird schließlich von unseren Kunden gewünscht, vielfach sind das Unternehmen die verzweifelt sind, weil sie Positionen nicht besetzen können. Die Betriebe wissen oft nicht mehr, wie sie dann zu einer guten Lösung kommen. Und ja – wir sprechen natürlich auch Leute vom Mitbewerb an bzw. bekommen teilweise auch Hinweise von Kunden, an wen wir uns wenden könnten. Was natürlich ein direkter Mitbewerber nicht selber machen kann – dafür braucht es uns. Wie gesagt: Innerhalb des rechtlichen Rahmens ist das nicht nur okay, sondern auch notwendig. Schließlich ist es jeder Mitarbeiterin, jedem Mitarbeiter unbenommen, jederzeit abzulehnen und nicht zu wechseln. Umgekehrt ist es jedem Dienstgeber unbenommen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu behandeln, dass sie auch nicht wechseln wollen. Die Erfahrung zeigt: Wenn jemand wechselt, hat das immer auch etwas mit dem Verhältnis zum Dienstgeber bzw. Vorgesetzten zu tun. Aber ich verstehe natürlich den Punkt, dass das Hochlizitieren zu einer Verzerrung der Gehälter führen kann – das ist mir bewusst.

Was könnte eine Lösung sein?
ZINKANELL: Es muss uns bewusst sein, dass sich der demographische Wandel und damit der Fachkräftemangel noch verstärken werden. Daher empfehle ich, dass wir vermehrt über die Grenzen unseres kleinen Landes hinausschauen – mit unseren neun Millionen Menschen sind wir ja nicht der Nabel der Welt, auch wenn das manche glauben. Da gibt es viele Möglichkeiten und Potenziale in unterschiedlichen Branchen, ob Pflege oder Tourismus, aber auch in vielen anderen Bereichen, wo es sich lohnt, den Horizont zu erweitern. Zumindest EU-weit, aber auch darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Regelungen für die Rot-Weiß-Rot-Karte weiter lockern. Denn wir sollten denjenigen, die sich mit dem Th ema Zuwanderung schwertun, ein Stück weit erklären, dass es ohne qualifizierte Zuwanderung in vielen Bereichen über kurz oder lang sehr schwierig werden wird. Arbeitsmigration hilft, das Problem in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus meine ich: Das Th ema Fachkräftemangel ist ja nichts Neues – es kommt immer wieder in Wellen und muss von mehreren Seiten angegangen werden. In manchen Bereichen müssen sich Arbeitgeber auch damit anfreunden, Menschen besser zu behandeln. Es geht ja nicht nur um das Gehalt, sondern vor allem um Wertschätzung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, die in meinem Betrieb arbeiten.

Ausgezeichnet als bester IT-Arbeitgeber Österreichs! Kommen bei einer so attraktiven Arbeitgebermarke wie jener von NTS die Mitarbeiter von ganz allein?
SEEWALD: Von ganz allein geht es nicht (lacht), aber wir tun uns sicher leichter. Der Begriff Wertschätzung ist schon gefallen – eine zentrale Säule bei der NTS. Wir versuchen ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingegangen wird. Dabei werden private Lebensumstände, persönliche Präferenzen und Freizeitbedürfnisse berücksichtigt. Für uns ist entscheidend, dass wir unsere Werte nicht nur nach außen kommunizieren, sondern diese im Unternehmen tatsächlich leben. Da legen wir viel Energie und Engagement hinein – das beginnt bei uns schon beim Rekrutieren. Neben den gängigen österreichischen Onlineplattformen setzen wir für gewisse Stellen insbesondere auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind unsere besten Markenbotschafterinnen und Botschafter. Unser etabliertes Empfehlungsprogramm und auch Active Sourcing sind wichtige und erfolgreiche Bausteine in der Recruiting-Strategie. Auf externe Recruiting-Dienstleistungen greifen wir nur in Ausnahmefällen zurück.

Sie wachsen auch international. Wie gehen Sie hier beim Recruiting vor?
SEEWALD: Wir betreuen unsere Kunden rund um die Uhr. Daher brauchen wir auch 24/7-Ansprechpartnerinnen und -partner mit den entsprechenden Zertifizierungen und Ausbildungen. Zum einen suchen und rekrutieren wir hier weltweit und zum anderen unterstützen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin, ins Ausland zu gehen. Beispielsweise hatte jemand aus unserem Team die Absicht, nach Australien auszuwandern. Da wir ihn als Mitarbeiter unbedingt behalten wollten, haben wir einen Standort in Australien gegründet. Mittlerweile besteht das Team vor Ort aus zehn Personen. Auch in den USA und in China wurden Standorte gegründet. Unser Erfolgsgeheimnis: Authentizität ist alles. Wir sind so, wie wir sind und geben nicht vor, etwas anderes zu sein. Zudem bieten wir Benefits und viele Freiheiten und schenken vor allem viel Vertrauen – das spricht sich herum, wird weitererzählt und trägt schließlich dazu bei, dass wir jedes Jahr um ca. 20 % wachsen – aktuell sind wir 640 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 139 neue Kolleginnen und Kollegen wurden im Vorjahr professionell ongeboardet. Demgegenüber liegt die Fluktuationsrate bei uns unter 5 % pro Jahr. Zum Vergleich: Der Durchschnittswert in der IT-Branche beträgt ca. 20 %. Ich bin, so wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen seit Langem dabei. Bei mir sind es mittlerweile 20 Jahre!

HARRER: Dazu kann man nur gratulieren, ein schönes Vorzeigebeispiel. Für mich ist es aber ein Unterschied, ob man als Unternehmen Anreize schafft, um als Arbeitgeber für sich zu werben, oder ob man Kopfprämien zahlt. Im Gewerbe werden Prämien ausgelobt unter dem Motto: Wenn du jemanden vom Mitbewerber bringst, kriegst du z.B. 1.500 Euro auf die Hand! Für mich ist das Missbrauch eines loyalen Mitarbeiters. Denn wenn der sich von mir kaufen lässt, würde ich mich fragen, von wem sonst noch? Natürlich ist gegen den freien Wettbewerb nichts einzuwenden. Aber dort, wo es hart an die Grenze geht, da tun wir uns schwer. Schon aus Verantwortung gegenüber den bestehenden Mitarbeitern. Wir würden niemals auf einem Lohnniveau anwerben, das wir unserer Stammmannschaft nicht auch zugestehen – das ist weder betriebswirtschaftlich klug noch ist es fair. Anständig bezahlen und ein ordentliches Umfeld schaffen – da fordert uns der Markt ohnehin seit Jahren. Man muss für die bestehende Mannschaft viel tun, um als Arbeitgeber längerfristig im Rennen zu bleiben – ob Gehälter, Benefits oder Flexibilität in den Arbeitszeitmodellen. Da haben wir alle als Unternehmen schon sehr viel geleistet – trotz nicht mehr zeitgerechter Rahmenbedingungen durch die Arbeitszeitgesetze.

Zum Beispiel?
HARRER: Die Regelungen, die wir heute in der Beschäftigung haben, stammen aus einer Zeit, in der ganz andere Grundvoraussetzungen vorherrschten. Allein die Homeoffice-Regelung, wo man sich als Unternehmer schnell strafbar machen kann, wenn ein Mitarbeiter sein Arbeitspensum zeitlich flexibel, etwa abends, erledigt, ist nicht mehr zeitgemäß. Wichtig für mich: Wir reden immer von Ressourcen, wenn wir von HR sprechen. Und Ressourcen gehören von einem Unternehmen gemanagt – sie gehören gewürdigt und weiterentwickelt. Aber sie müssen auch in den Rahmen passen, der für Unternehmen und letztlich für unsere Kunden zumutbar ist. Ich sehe, dass viele dazu neigen, sich Personal zu erkaufen. Leute zu erkaufen heißt, dass sie überhöhte Preise zahlen und am Ende haben wir überdurchschnittliche Löhne für meist durchschnittliche Leistungen. Im Gewerbe, in dem der Marktdruck größer wird, wird das beinhart. Ich bin der Meinung, dass wir das Humanpotenzial, das wir in den Unternehmen wertschöpfend einsetzen, auch über den eigenen Betrieb hinaus denken sollten, weil wir uns als Markt definieren und nicht nur als Unternehmen. Recruiting ist ein feinfühliges Thema, eine sehr persönliche und sensible Dienstleistung – da braucht es viel Verantwortung!

HÖDLMAYR – TRAXLER: Zum Teil ist dieser Wettbewerb um die besten Köpfe tatsächlich hausgemacht. Wir haben viele Anfragen zum Thema: Was können wir aus rechtlicher Sicht tun, um als Unternehmen möglichst attraktiv zu sein? Daher sehe ich schon auch ein gewisses Hochschaukeln! Es werden immer mehr Benefits und Prämien angeboten – und man fragt sich, wo macht man einen Punkt? Nicht alles können wir rechtlich umsetzen. Ich verstehe natürlich die Wünsche nach Flexibilisierung, Workation etc. Aber es gibt auch Branchen wie die Baubranche oder die Gastronomie, wo diese Flexibilität gar nicht möglich ist – und diese Branchen dann benachteiligt sind, weil nicht so „attraktiv“.

Gehalt, Benefits, Arbeitszeiten etc. – was sind die Kriterien, nach denen sich Kandidaten für ein Angebot entscheiden?
LAMPRECHT: Laut einer aktuellen Studie haben sich die Prioritäten gar nicht so stark verändert, wie oft kommuniziert wird. Demnach ist der Hauptfaktor, KandidatInnen zu einem Wechsel zu bewegen, nach wie vor das Gehalt bzw. ein höheres Gehalt. Das hat mich selbst etwas überrascht. Gleichzeitig bestätigt die Studie meine Wahrnehmung, dass auch andere Faktoren an Bedeutung gewonnen haben – Themen wie Wertschätzung, Unternehmenskultur, die Frage, wie mit Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern umgegangen wird, die Kommunikation im Unternehmen und vor allem flexible Arbeitszeitmodelle. Etwa, wieviel Homeoffice ist möglich. Menschen wollen einen Teil ihrer Arbeitszeit von zuhause aus arbeiten und flexibler sein. Nicht nur Mütter oder Väter, sondern auch Menschen, die Eltern oder andere, zu betreuende Personen im Haushalt haben. Wenn Unternehmen anbieten können, auf die Lebensphase und Umstände der Menschen einzugehen, ist dies schon ein wesentlicher Faktor, warum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben bzw. neue ins Unternehmen kommen.

SEEWALD: Ich könnte mir vorstellen, dass die Geldfrage oft erst nur einmal den Einstieg bilden kann, um möglicherweise das Interesse der Kandidatin oder des Kandidaten zu wecken. Viele hören es sich an, um zu sehen, wo ihr Marktpreis liegt. Wenn ich mich in einem Unternehmen wohlfühle, mag es zwar informativ sein, sich ein Angebot anzuhören, aber gewechselt wird trotzdem nicht. Ich kenne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns, die wöchentlich finanziell sehr lukrative Angebote erhalten, aber sie gehen dennoch nicht – denn Geld ist eben nicht alles.

ZINKANELL: Es gibt ausreichend Möglichkeiten für jeden Arbeitgeber, die Attraktivität zu erhöhen mit Maßnahmen, die nicht mit Gehalt oder einem Bonus zu tun haben. Das ist natürlich immer von der individuellen Situation bzw. der Branche des Unternehmens abhängig. Aber es sind die entscheidenden Themen für die Mitarbeiterbindung. Denn wenn ich eine Fluktuation von nur 5 % habe, dann habe ich schon viel getan, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei mir wohl fühlen – und ich brauche weniger in Recruiting zu investieren. Das hängt eng zusammen. Wie ich mit Leuten umgehe, hat einen Einfluss darauf, wie viel Recruiting ich brauche. Ein Beispiel aus unserem Haus: Mir ist es z.B. völlig egal, wann und wo die Kolleginnen von der Lohnverrechnung arbeiten. Das Einzige: Die Arbeit muss pünktlich erledigt sein und auf den Cent genau stimmen. Darum geht es, das ist das Wesentliche. Ich kenne genug Unternehmensverantwortliche, die sagen: So und so viele Tage die Woche muss die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter im Unternehmen anwesend sein. Und ich frage mich: Warum eigentlich? Warum so starre Systeme? Wir haben Alleinerziehende mit Kindern, Flexibilität ist für viele Frauen ein großer Vorteil und kostet mich gehaltsmäßig keinen Euro mehr. Ich glaube, dass Unternehmen noch viel Flexibilität hätten, die aber nicht genutzt wird, um den Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, sich im Unternehmen wohl zu fühlen. Das hat nicht primär monetäre Auswirkungen. Das größte Potenzial sehe ich beim Thema Wertschätzung und bei der Kommunikation auf Augenhöhe. Immer noch gibt es zu viele Führungskräfte, die glauben, den Chef raushängen lassen zu müssen.

LAMPRECHT: Dem stimme ich zu. Ich glaube auch: Wenn noch mehr Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Wertschätzung, eine offene Kommunikation und Transparenz entgegenbringen, dann wäre es deutlich schwieriger, über das Gehalt abzuwerben. Die Leute hören sich andere Jobangebote vielleicht an, sie verlassen das Unternehmen aber trotzdem nicht. Ich kenne Menschen, die seit 20 Jahren im selben Unternehmen sind, weil sie sich so wertgeschätzt fühlen oder sich gut mit ihren Kolleginnen und Kollegen verstehen – da spielt das Gehalt nicht die primäre Rolle.

SEEWALD: Es ist in Wahrheit ganz einfach: Unsere Verantwortung ist es, im Unternehmen ein ausgezeichnetes Arbeitsumfeld und -klima zu schaffen, wo sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohlfühlen. Schließlich verbringen sie viel Zeit am Arbeitsplatz. Wesentlich ist das Vertrauen den Mitarbeitenden gegenüber – Stichwort Homeoffice. Immer noch gibt es Unternehmensverantwortliche die glauben, nur wenn sie daneben sitzen und alles kontrollieren, werden Leistungen erbracht. Ich vertrete hier „Zulassen statt Kontrolle“. Geschenktes Vertrauen setzt Energien frei und es kommt meist viel zurück. Und zum Thema Flexibilität: Die Frage ist ja nicht nur, will ich 20 oder 40 Stunden arbeiten, sondern will ich etwa von September bis Juni so viel arbeiten wie möglich und dafür dann den ganzen Sommer frei haben? Diese Flexibilität bräuchte es – das geht natürlich bei uns leichter als in anderen Branchen. Jemand kann sagen, ich hänge mich bei größeren Projekten voll rein und nehme mir dann eine längere Auszeit im Sommer.

HARRER: Wie Sie sagen – das eignet sich nicht für alle Branchen. Wenn man einen Rohrbruch hat, braucht man sofort einen Installateur – auch im Sommer. Es gibt zum Glück die attraktiveren Jobs im Hightech, aber es gibt auch andere – irgendjemand muss auch die Pflege machen, das Essen kochen, die Teller waschen etc. In unserer Firmengruppe sind wir sehr breit aufgestellt – wir haben vom Handwerk über die IT bis Gastronomie ein breites Spektrum. Zum Glück können wir zurzeit gute Mitarbeiter finden – mit Ausnahme vom Handwerk. Zuletzt haben wir auch in der Gastronomie erfolgreich Stellen besetzt, dort haben wir unseren Betrieb in Passail – (Anm: „Der Schrenk“ Gutshof und Restaurant) – von Null weg gestartet. Generell setzen wir bei unseren Betrieben nicht auf ein einheitliches System – also nicht überall Homeoffice oder Vier-Tage-Woche, sondern wir versuchen, auch branchenabhängig mit den einzelnen Personen individuelle Vereinbarungen zu treffen. Übrigens: Homeoffice machen wir schon seit über zehn Jahren. Und dort, wo wir auf Vier-Tage-Woche setzen, gibt es zunehmend den Wunsch der Beschäftigten, wieder zum alten Modell zurückzukehren.

Stichwort Internationales Recruiting. Wo lauern die Fallstricke?
HÖDLMAYR – TRAXLER: Internationales Recruiting ist aufwändig und teuer. Wenn wir eine Rot-Weiß-Rot-Karte beantragen, kostet das Zeit und Geld. In Wien dauert es etwa drei Monate bis zur Bewilligung. Dazu kommen die Beratungskosten, weil für ein Unternehmen der hohe Formalaufwand kaum zu schaffen ist. Ein Problem haben wir auch im Bereich der Pendler, die im Ausland Homeoffice machen wollen. Diese gewünschte Flexibilität des Markts ist rechtlich aktuell noch nicht umsetzbar. Es kann schließlich nicht jedes Unternehmen gleich überall einen Standort bzw. eine steuerliche Betriebsstätte gründen. Daher ist es gerade für kleinere Unternehmen schwierig, Homeoffice im Ausland zu ermöglichen. Ähnlich auch bei „Workation“ – ein paar Monate auf Teneriffa oder sonst wo klingt toll, aber damit gehen komplexe rechtliche Fragestellungen einher. Das heißt, im Worst-Case müssen dort dann Abgaben abgeführt werden und das ist ein Aufwand, den sich viele KMUs nicht leisten können oder nicht leisten wollen.

SEEWALD: Dies könnte gelöst werden, indem ein Wechsel innerhalb von drei Monaten erfolgt – also einmal Spanien und dann wieder Schweden usw. Generell bieten wir Workation an, aber zu unserem Erstaunen wird es – obwohl dies gewünscht wurde – jetzt nicht so stark genutzt. Darüber hinaus arbeiten wir gerade an einem individuellen Konzept für flexiblere Arbeitszeiten. Eine Vier-Tage-Woche ist nicht für jeden passend und wird bei uns derzeit auch nicht angeboten, jedoch erarbeiten wir aktuell ein eigenes ansprechendes Konzept.

HÖDLMAYR – TRAXLER: Bei all diesen Flexibilisierungswünschen stellen wir oft fest, dass sie rechtlich gar nicht so einfach umsetzbar sind, weil dann Zuschläge dazukommen und Ähnliches. Das stellt man sich oft einfacher vor. Daher würde ich mir wünschen, dass der Gesetzgeber beim Arbeitszeitgesetz nachbessert, um mehr Flexibilisierung zu ermöglichen. Es gibt zwar die Gleitzeit im Gesetz, aber sonst relativ wenig zum Thema Flexibilität. Einfachere Regelungen braucht es meiner Meinung nach auch bei den Homeoffice-Themen im internationalen Kontext.

Die großen Trends im Recruiting? Ihre Wünsche?
ZINKANELL: Ich glaube, dass es uns in Österreich guttun würde, wenn die Behörden schneller und flexibler werden. Drei bis vier Monate, um eine Rot-Weiß-Rot-Karte bewilligt zu bekommen – das kann es nicht sein. Und eine Option, die heute noch nicht angesprochen wurde, betrifft die Möglichkeit, selbst auszubilden. Ich glaube, dass das eine ganz entscheidende Option ist, natürlich abhängig von den Voraussetzungen im Betrieb. Darauf einen Fokus zu setzen, wo es möglich ist, würde das Thema Recruiting entschärfen. Das leben wir bei arcus auch vor. Denn wir sind der mit Abstand größte steirische Bereitsteller von Personal in der Kinderbetreuung. Wir haben in dem Bereich rund 330 Beschäftigte, meist Kindergartenpädagoginnen und Betreuerinnen, unter Vertrag und sind aktuell mit dem Land Steiermark in Gesprächen darüber, künftig selbst auch die Ausbildung der Kinderbetreuerinnen durchzuführen.

LAMPRECHT: Meine Wünsche gehen sowohl in Richtung der Unternehmen als auch in Richtung der Kandidatinnen und Kandidaten. Von diesen wünsche ich mir, dass von ihrer Seite wieder mehr Verbindlichkeit in die Bewerbung hineinkommt – denn „Ghosten“ ist inzwischen im Recruiting ein verbreitetes Phänomen geworden. Manche Kandidatinnen und Kandidaten tauchen einfach unter und melden sich nicht mehr, im Extremfall sogar nach Unterzeichnung des Dienstvertrags. Und von den Unternehmen habe ich persönlich den Wunsch, dass sie ihren Recruitingprozess optimieren. Sei es bei der Stellenausschreibung, den Interviews oder dem Feedbackprozess. Es gibt ja auch Unternehmen, die sich nicht mehr oder nicht zeitnah melden. Das geht heutzutage nicht mehr. Die Kandidaten sind dann meist weg.

Fotos: Oliver Wolf, ISTOCK

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